Anders Indset dachte auf Einladung der Sparkasse Oberösterreich (#notspons) in Linz laut. Thema: „Wirtschaft und Ethik – Möglichkeiten und Grenzen der KI“. Der Wirtschaftsphilosoph und Tech-Evangelist (jüngste Publikationen: „Wikinger-Kodex“ 2024, „Das infizierte Denken“ 2021) aus Norwegen, nun mit Heimat in Deutschland, nahm das Mikrofon und sagte gleich einmal ab, uns seine Präsentation zu zeigen. „Thinking out Loud“ als Vortragstitel lege ohnedies nahe, einfach „laut zu denken“, mit uns gemeinsam, und zwar am vergangenen Mittwoch, Aschermittwoch, im Event-Deck des Ars Electronica Centers in Linz (Oberösterreich).
Wir sind hinter Glas an einem erhöhten Punkt der Stadt, direkt an der Donau, der Nibelungenbrücke. Draußen funkelt die Stadt in ihren abendlichen Lichtern, den starren der Beleuchtung, den bewegten von Scheinwerfern und Hecklichtern der Fahrzeuge. Nur dieses Licht hebt im Spätwinter die Konturen der Gebäude aus der Nacht. Drinnen funkelt Indset im braunen Business-Anzug mit seinen blauen Augen, seinen perfekt weißen Zähnen, den kräftig beringten Fingern und natürlich vor allem mit seinen Gedanken. Er spricht frei, assoziativ und flunkert zuerst über seine Initialen, da wäre er ja damit geboren, mit „artifical intelligence“. Nein, denken wir doch über Lebendigkeit nach: Wann ist der Mensch lebendig? Wann fühlt er sich so? Lebendig, so wie heute er, als er am Vormittag in Linz landete. (Der Flughafen der Stadt, das muss man wissen, hat in dieser Jahreszeit Betriebsfrequenz dergestalt, wenn da einmal ein Flugzeug aufsetzt, erwacht die Anlage kurz, man darf hier noch zu Fuß vom Gate übers Rollfeld zur Gangway gehen, romantisch!) Wenn wir uns in unserer Wahrnehmung wahrnehmen, dann sind wir lebendig, bebildert uns Indset seinen jüngsten schönsten Augenblick: Landung in Linz bei winterlichen Sonnenstrahlen.
Die KI ist das Gegenteil von lebendig. Sie optimiert rechnerisch, so hat sie es vom Menschen gelernt. Der Schachcomputer kann Partien vor- und durchrechnen, der norwegische Langzeit-Schachweltmeister Magnus Carlsen (2013 bis 2023) habe einmal in einer Partie einen Zug gesetzt, Bauer über Flanke, die beobachtende Fachwelt verzweifelte, glaubte, dass Carlsen verloren hätte. Zehn Züge später schaute es souverän nach Sieg aus, Carlsen danach dazu befragt: „Ich habe gespielt.“ Die selbstlernende Maschine kenne das Spielerische nicht.
KI passe gut in unsere Optimierungsgesellschaft, die allerdings leider nur reaktiv funktioniere. „Bringen wir so etwas weiter?“, fragt Anders Indset ins voll besetzte Auditorium rhetorisch. Gerade hier in Österreich, woher Grundlagenforschung in Fragen von Quantentheorie und -praxis kommt (die Verbeugung vor unserem Nobelpreisträger Anton Zeilinger nimmt das Publikum mit Wohlgefallen, im freien Sprechen weiß uns der Wirtschaftsphilosoph zu hofieren), da hätten wir doch die Chance für den Aufbruch in die Zukunft in der Hand. Und da mögen wir uns doch von Donald Trump (das Publikum reagiert in seinen Lauten als gequält) wachrütteln lassen, als Österreicher, Deutsche, Europäer. Europa müsse wieder attraktiv und wettbewerbsfähig werden. Ganz klar!, wollen wir ihm zurufen, doch dem Tech-Evangelisten folgt man mit offenen Ohren still, es sei denn, man wird von ihm angesprochen.
Anders Indset geht ins Beispiel Klimawandel und sagt in Klarheit über Greta Thunberg und ihre Bewegung „Fridays for Future“, ja, da war was, für vielleicht vier Jahre, der Veränderungsimpuls hatte „geringe Wirkung“ (ich empfand das sehr höflich und freundlich formuliert, er hätte auch „keine“ sagen können). Dann schimpft er über Deutschlands bald neuen Kanzler und dessen Forderung an die Europäische Union, das Verbrenner-Verbot zurückzunehmen. Energiewende funktioniere nicht mit der Rückkehr in alte Produktionsmuster. 2025 sei wohl nichts altmodischer, als auf Öl und Gas als Energiequellen zu setzen. Wir hätten nicht ein Produktionsproblem von Strom, sondern ein Speicher- und Distributionsproblem. Anders Indset prophezeit: In zehn Jahren gibt es viel bessere Batterien und das zurzeit 118 Elemente umfassende Periodensystem ist auf 140 gewachsen. „Fragen Sie mich nicht, mit welchen 22 Elementen.“
Energiewende am Beispiel aus seiner eigenen Familie: Im vergangenen Jahr kaufte sich sein Vater ein E-Auto, und zwar im April, im späteren Herbst berichtet er dem Sohn, dass er bislang fürs „Tanken“ nichts bezahlt habe, er habe nur sonntags aufgeladen. Wir dürfen rätseln, wie das geht. Die Erklärung steckt im Fachbegriff von „redispatch“, also einer Überproduktion von Strom, die aus dem Netz muss. In Norwegen wird abgebaut, was vor Schleswig-Holstein an Sonntagen durch Windkraft entsteht, aber mangels Stillstand der Industrie nicht verbraucht wird. Da gibt es selbst Situationen „mit Minus-Preis“, erklärt Indset und wirft als Deutschlands Budgetbelastung für „redispatch“ einen Betrag ins Publikum; „Sieben Milliarden Euro, jährlich.“
„Ich bin nicht Optimist, ich bin nicht Pessimist, ich bin Possibilist“, das geht zurück auf eine Strömung innerhalb des französischen Sozialismus, Paul Brousse wird damit in Verbindung gebracht. In Neudeutung versteht man in unserer Gegenwart darunter, sich um die Zukunftsgestaltung zu kümmern. Schade nur, dass Anders Indset zwar die Aspekte der Wirtschaft gut sieht und anspricht (auch wie sich etwa Unternehmen auszurichten haben), zur ethischen Implikation fiel ihm nicht mehr ein, als diese der Erziehung und Bildung als Herausforderung zuzuschieben.
Foto: Set vor Beginn am Aschermittwoch, 5.3.2025, 17 Uhr, Linz (Oberösterreich)/Ars Electronica Center
Kategorien:Philosophie

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