Theater

Der König stirbt und sein Prinz säuft

Wie würde er wohl riechen, der „Mief der Verlogenheit“, den Big Daddy wahrnimmt, als er in die Verhandlungen um das, was er hinterlassen wird, platzt? Tot zwar noch nicht, aber schon totgesagt: So behandelt ihn die Familie, du kannst sie dir nicht aussuchen, Blut ist dicker als Wasser.

Diese Bindungen legte Tennessee Williams schon 1955 analytisch offen, in „Die Katze auf dem heißen Blechdach“, seit vergangenem Freitag erweitert eine szenische Fassung und Interpretation von Susanne Lietzow am Schauspielhaus den Spielplan des Landestheaters Linz (Oberösterreich).

Aber zurück zur Frage nach der Duftnote von Verlogenheit: Mit Blick auf das famose Bühnenbild von Aurel Lenfert, leicht schräg steigt das Feld an, es ist geerntet, in der Hitze vertrocknen die halbhohen Halme der Garben, jeder Schritt da durch, jedes Robben darin entfaltet das Aroma einer Erdigkeit. Die bindet vielleicht. Nur (wörtlich) Fortschritt, ein Vorankommen gestaltet sich schwierig, die Familie stakst darin herum, sie hängt fest, Im Hintergrund heben und senken sich in einer Videoanimation (von Petra Zöpnek) auf großer Leinwand die Ölpumpen. Man meint, das Metall der Mechaniken riechen zu können, auch das Öl. Es konkurriert im Sinn der Metapher in Sachen Dickflüssigkeit kräftig mit dem Familienblut. Big Daddy wird von seinem Unternehmen als „Königreich“ sprechen.

Ganz sicher liegt Make-Up auch olfaktorisch in der Luft, Haargel, Haarspray. Outfits und Maske der Familie sind durch Kostümbild (Jasna Bosnjak) und die Fachabteilungen des Theaters (Kostümwesen, Maske) zu einer Brillanz getrieben, auch übertrieben. Hier wird Amerika nicht nur gezeichnet, auch überzeichnet, in Roben, Ausschnitten, Frisuren; Klischees, ja, natürlich, die Gesten, das Gebet mit dem Reverend, weil man sich ja als „American Christians“ zu den frommsten unter allen Gläubigen zählt, was allerdings kein Grund ist, sich nicht anzupöbeln.

Eine Menagerie Menschen republikanischer Lebensgesinnung verhandelt sich ihre Vergangenheit und Zukunft, da spielen schon die Kinder mit den Waffen. Und mittendrin fiel ein kleiner Satz, über den todkranken Big Daddy, „er ist ja schon ganz orange“ (und ich fand mich etwas allein im Umfeld meines Sitzplatzes, diese herrlich böse Anspielung auf einen anderen „großen Vater“ zu belachen). Und natürlich riechen wir auch den Schnaps, den sich Alkoholiker Brick in mehreren Flaschen im Feld vorrätig hält.

Das Stück gilt als Fest für großes Schauspiel, ist es auch, es lebt vom Sprechen, von großen Monologen, Maggie spricht in der ersten Szene nahezu 50 Minuten mit Brick (wir nehmen seine wenigen Zwischenbemerkungen hier aus) über die gescheiterte Beziehung, die Familie, den Kinderwunsch, der erfüllt sie erst als Frau in der Familie Anerkennung gewinnen lassen würde.

In Lietzows Inszenierung, die auf die Übersetzung von Jörn van Dyk zurückgreift, wirkt das Mittel des Switchens ins Englische, als würden wir die amerikanischen Figuren „deutsch sprechend“ uns ein Modell liefern lassen wollen, nicht moralisch, es hebt sich ja kein Zeigefinger. Wenn nun allerdings in Dialogpassagen ins Englische gewechselt wird, bricht in der „Muttersprache“ die Emotion durch. Der Takt im Sprachklang, das Atmen, das klingt viel besser, schärft die Szene. Das Ensemble spricht ein schönes Englisch, und das titelgebende „cat on a hot tin roof“ hüpft in den Betonungen einfach dramatischer als in Deutsch als „Katze auf dem heißen Blechdach“.

Die gesamte Ensembleleistung ist herausragend, vielleicht ist die Musikkomponente im fixen Team Lietzows (Gilbert Handler und Rainer Gutternigg als Cowboy-Elvis-Duoverschnitt) nicht so logisch kraftvoll wie aus anderen Produktionen bekannt. Doch im Schauspiel erleben wir einmal mehr die große Theresa Palfi als Margaret in ihrer ganz eigenen Exzellenz. Benedikt Steiner, einer der wandlungsfähigsten Schauspieler des Hauses, entwickelt in einer Feinsinnigkeit Brick durch den drei Stunden langen Abend, man muss diese Studie eines in seiner Liebe, seiner Leidenschaft, in und an seinem Sport gebrochenen Mannes gesehen haben.

Katharina Hofmanns Big Mama, in der Erscheinung auf der Bühne steht wohl die amerikanische Sängerin Dolly Parton Patin, setzt mit der adaptierten Streisand-Nummer von „Woman in Love“ in der Mitte der Inszenierung in Verbindung mit der Videoanimation ein Statement. Klaus Müller-Beck führt in seiner Kurzbiographie den Big Daddy als wichtige Rolle, das spürt man in jeder Sekunde seiner Interpretation des Patriarchen, der sich nicht zum Spielball seiner Familie machen lassen will. Er teilt sein eigenes Geheimnis mit dem jüngeren Sohn, nur sie beide finden ihren Ausweg aus der Heuchelei, mit Schnaps, im Tod. Denn Gooper (Julian Sigl) hat den Vertrag zur Firmenübernahme schon bei sich und Mae (Cecilia Pérez), zum fünften Kind schwanger, hält sich zugeheiratet gar nicht lang mit Fragen sensibler Etikette in der Familie auf. Ihre geradlinigen Urteile treffen besser als jede Waffe in Familienbesitz und da sogar schon Kinderhänden. Nataya Sam und Jonas Hämmerle sowie Lena Sophie Knapp und Vivian Miksch (diese beiden als Babys mit überdimensionierten Köpfen über die Bühne krabbelnd) spielen deren Kinder. Horst Heiss als Reverend Tooker und Christian Higer als Doktor Baugh gestalten kleine Studien der beiden Familienbegleiter.

Tennessee Williams ist heutzutage selten in Spielplänen zu finden, auch insofern empfiehlt sich der Besuch der Linzer Inszenierung, zumal „Die Katze auf dem heißen Blechdach“ Schauspiel ist, das die Saisonmotto-Frage, wie wir denn leben wollen, deutlich beantwortet.

Foto: Klaus Müller-Beck (Big Daddy) im Bühnenbild von Aurel Lenfert – Copyright by Philip Brunnader/mit freundlicher Genehmigung des Landestheaters Linz

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