Am Montag in der Herbstferienwoche wird in den Medien von Trumps Wahlkampfauftritt in New York im Madison Square Garden berichtet, von den Warm-Up-Rednern (bewusst nur männlich), „sympathische“ Zeitgenossen allemal, Wrestler Hulk Hogan, Tesla-Erfinder, X-Besitzer etc. Elon Musk, der ehemalige New Yorker Bürgermeister Ralph Giuliani, Comedian Tony Hinchcliffe. Da lassen sich viele vor den Karren eines Wahlkampfs als Zeit „fokussierter Unintelligenz“ spannen. Die legendäre Qualifizierung dieser fiebrigen Tage durch den Wiener Altbürgermeister Michael Häupl untertreibt da sträflich.
Zuspitzungen, Verunglimpfungen, Hass, Rassismus, Frauenfeindlichkeit, wie dies da in die Masse vor Ort und multipliziert in die Medien geschüttet wird, feuern die Wut an, die ohnedies schon offen daliegt. Selbst, wo sie noch latent bedeckt geblieben ist bzw. wäre, kratzt die verbale Aggression die letzte Schutzschicht selbstregulierenden Anstands eines Individuums ab. Wie zeigt sich das dann bei der Wahl? Und kann, wie Politikwissenschaftler Jan-Werner Müller schon 2016 fragte, „jeder Wutbürger zu der Einsicht fähig [sein], dass seine Position vielleicht doch nicht richtig und schon gar nicht der Ausdruck des wahren Volkswillens ist“? (Jan-Werner Müller: Was ist Populismus= Ein Essay, Frankfurt/M. 2016, S. 60).
Wir blenden zurück. 6. Jänner 2021, Dreikönigstag. Auch wieder so ein Tag, an den wir in Mitteleuropa schon im finsteren Abend der nach wie vor kurzen Tage, die letzte Raunacht gerade durch, uns immer exakt erinnern werden und von dem wir ewig wissen werden, wo wir gewesen sind, als wir diese Nachricht erfahren haben: Sturm auf das Kapitol. Die Weltgeschichte befand sich wieder einmal in der kollektiven Phase gemeinsamen Atem-Anhaltens. Denn da hat sich doch in der Zeit nach der Wahl von Joe Biden zum Präsidenten, sein Status also gerade „president elected“, der Senat stand vor der formalen Bestätigung seiner Wahl, der Mob versammelt. Und Mister Donald Trump (gerade noch amtierender Präsident) stand dort und orakelte frei herum, wie Populisten das halt so tun, Fantasien, dazu nachgeschoben ein „think about it!“ als Formel, wie sich das „System“ längst gegen das „Volk“ (Anspruch natürlich: das gesamte, nicht nur das, welches ihn gewählt hatte) verschworen hätte. Er aber und nun die, die vor ihm standen und lauschten, wüssten es ohnedies, „think about it!“. Bei denen, an die er seine Worte richtete, löste dies an diesem Tag in Washington etwas aus und sie zogen los, stürmten, verletzten, töteten.
Dass er wiederum kandidieren darf, zeigt den Verlust jeglicher Moral und das Scheitern des amerikanischen Gesetzesapparats, wenngleich ja in Bundesstaaten Verfahren angestrengt worden waren, ihm seine Amtsfähigkeit als Präsident und darin die neuerliche Kandidatur gerichtlich abzusprechen. So unbegrenzt sind die Möglichkeiten einer Demokratie weiterhin in diesem großen Land mit bedeutender player-Funktion auf der Weltbühne.
Übermorgen wählt also Amerika neuerlich. Wut oder Zukunft? Das ist die Frage. Der Masse ist Wut im gegenwärtigen politischen Klima zuzutrauen, wie sich jüngste Wahlgänge in nahezu jedem Staat als Beweise aufdrängen. Selbst in Österreich, wo der Staat in den Jahren seit der Pandemie in seinen Etat griff und den Bürgerinnen und Bürgern mit Geldzuwendungen zur Seite stand wie nie zuvor, quittierte dies ein Gutteil der Wählerinnen- und Wählerschaft mit Wut und ihren Kreuzen auf dem Wahlzettel für systemkritische bzw. -ablehnende Wahlwerberinnen (ich meine hier nicht nur den Wahlsieger, sondern auch viele kleine Gruppierungen, die sich der Wahl stellten, auch wenn sie nicht in den Nationalrat eingezogen sind).
Zukunft: 2016 verlor Hillary Clinton gegen Donald Trump. Acht Jahre später könnte auch im Sinn der schönen erzählerischen Struktur des „doppelten Cursus“ aus nicht nur mittelalterlicher Epik (Held oder Heldin scheitert im ersten Anlauf, im zweiten gelingen Abenteuer und Sieg) die erste amerikanische Präsidentin gewählt werden: Kamala Harris. Trump würde dann wohl neuerlich wieder einen schlechten Verlierer abgeben, wie vier Jahre zuvor. Schon am vergangenen Freitag witterte er vorausschauend Wahlbetrug. Der Mann bleibt sich treu und zeigt sich weiterhin weder lernfähig noch demokratiepolitisch standfest.
Foto: Pexels/Free Photo Library – Wer zieht als nächste/r ins Weiße Haus?
Kategorien:Politik
