Earl Silas Tupper (1907 – 1983) war beseelt von Unternehmergeist. Mit seiner ersten Idee scheiterte er, das gehört dazu. Dann stößt er auf Polyethylen, Kunststoff. Zuerst produzierte er im Zweiten Weltkrieg fürs amerikanische Militär, danach Haushaltswaren, die wir alle sehr gut kennen: Tupperware, robustes Plastik, abwaschfest, irgendwie nicht umzubringen. „Ich habe noch genug davon“, sagt meine Mutter und deutet auf die Küchenschränke hinter ihr.
Vielleicht ist gerade diese Ewigkeit des Produktwerkstoffs das Problem der wirtschaftlichen Zukunft von Tupperware geworden. Nein, zu Zeiten der Pandemie begann der Sinkflug des erfolgreichen amerikanischen Unternehmens. Im am 17. September 2024 eingebrachten Insolvenzantrag hieß es, zu viel Konkurrenzprodukte, zu viel Vertrieb dieser übers Internet, dazu die boomenden Essenslieferdienste, man müsse ja kaum mehr irgendetwas aufbewahren. All das zusammen ergibt den Dolchstoß nicht nur für ein Unternehmen, sondern für eine Kultmarke.
Denn da war schon dieses sehr spezielle „Vertriebsmodell“, mit dem Tupperware in die Haushalte fand. Im Partyfieber von Damenkränzchen wurden die Produkte präsentiert, Bestelllisten befüllt, danach das Plastikgeschirr geliefert. Seine Besonderheit: Die Luft ließ sich hinausdrücken. Quasi händisch bestmöglich erzeugtes Vakuum ließ alles, woran Sauerstoff an verarbeiteten Lebensmitteln unangenehme Dinge anstellen konnte, verhindern. Im Zuge der Berichterstattung um die Insolvenz las ich vom sogenannten „Tupper-Seufzer“, wenn man die Deckel so durchdrückte, dass sich die Nut in ihm gleich in den Gefäßrand verbiss, luftdichtes Abschließen des kostbaren wie köstlichen Inhalts.
Tupperware begleitete meine Volksschul- und Gymnasialzeit nicht nur als Jausenboxen. Es beeinflusste in einer alle paar Jahre zu Hause wiederkehrenden Zimmerarrestsituation mein Leben. Zuerst (Volksschüler) verbrachte ich die Einsamkeit meines Abends mit Lesen, später (früher Gymnasiast) mit eigenem Fernseher, zuletzt (angehender Oberstufenschüler) mit Programmiertüfteln am Sinclair ZX81.
Denn draußen vor der geschlossenen Zimmertür, durch drei Meter Vorzimmer nach rechts im Wohnzimmer, war dann Tupper-Land. Der weibliche Teil der sogenannten „Hausgemeinschaft“ unserer zwei Mehrparteienhäuser kam zusammen, um bei Brötchen, Knabbereien und ein paar Gläschen Wein, Sekt, Bier die neuesten Produkte von Tupperware kennen zu lernen. Und zu bestellen. Irgendwie ging das damals in der realen Welt sicher so wie heutzutage im Internet. Frau A kauft Produkt 1, das inspirierte, löste Kettenreaktionen von Verführung aus, Kundinnen, die die Dose soundso kauften, kaufen auch … und so weiter. Die Partys gingen im Reigen der Tupperianerinnen durch ihre Wohnungen, alle Jahre mal war auch meine Mutter dran und meine Schwester und ich verbrachten einen Abend lang sehr in unseren Zimmern privatisiert.
Unlängst erkundigte ich mich, wie mein Vater diese Abende (üb)erlebte. Er setzte zuerst die Miene des Leidenden auf (vollkommen richtige Erstreaktion eines Mannes). Er habe erduldet, sagte er. „Ach, nein, du warst an diesen Abenden in der Sauna“, erinnerte sich meine Mutter. Dies war das Kontrastprogramm der männlichen Fraktion der Hausgemeinschaft. Diesem durfte auch ich mich später anschließen, allerdings nicht an den werktäglichen Tupper-Abenden, nur samstags. Ob meine Schwester jemals in den Orden der Tupperianerinnen Aufnahme fand, weiß ich nicht. Ich werde sie fragen.
Zum guten Schluss: Mein absolutes Lieblings-Tupperware-Stück war eine Staubzuckermühle aus schönem orangen Plastik (es waren die späten siebziger Jahre, das Orange leuchtete überall!), sicher dreißig Zentimeter hoch. Mit weißer Kurbel über eine lange Stange konnte der Verteiler über dem Gitter gedreht werden. So schneite (für alle Freundinnen und Freunde aus Deutschland) der Puderzucker auf unsere mit Brösel ummantelten Fruchtknödel oder den Kaiserschmarrn. Davon musste niemals irgendetwas in Tupperware aufbewahrt werden, das haben wir immer brav aufgegessen.
Bild: Want some tupperware? (This shot is one piece of the exposition at the gallery of modern art of Tokyo Opera), Aug 24th, 2010, by RageZ commons.wikimedia.org, abgerufen am 21.9.2024, Creative CommonsAttribution 2.0 Generic
Kategorien:Essen & Trinken, Soziales Handeln

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