Theater

Vom Sein, bestimmt vom Schein

Was für ein Befreiungsschlag für das Schauspiel am Landestheater Linz (Oberösterreich)! Nun gut, der war fällig, er wurde erwartet. Das macht Druck, der neue Schauspieldirektor David Bösch hält dem stand und so zaubert er mit „Viel Lärm um nichts“ eine Eröffnungsproduktion der neuen Spielzeit, die sich, sieh an sieh an, gediegen des Themas dieser Spielzeit annimmt. Dieses lautet: Wie wollen wir leben?

Am Landestheater hat man sich für September 2024 bis Juli 2025 ein vielfaches Antworten auf diese Frage vorgenommen. Was kann da diese eigentlich doch so romantische Komödie von William Shakespeare beitragen? Der Krieg ist aus, die Helden kehren heim, sie sind geduldet, erhalten Gastfreundschaft. Und weil der Fokus (vorerst) nicht mehr dem Kampf, erfolgreich war man zudem, gilt, übernehmen die Hormone. Claudio sieht Hero und will sie. Dann beginnt das Spiel des Werbens, intrigante Ideen würzen. Längere Zeit drängt sich dann im Stück vor, den fortdauernden Krieg der Worte zwischen Benedikt und Beatrice zu befrieden. So sei aus dieser spielverliebten Buntheit der Inszenierung nur verraten, dass man allein schon hingehen muss, um diese meisterhaft gespielte Komödiantik zu erleben, wenn Claudio, Leonato und Pedro dem lauschenden Benedikt vormachen, wie sehr denn Beatrice in ihn verliebt sei.

Nach der Pause wechselt die Tonart streng und als wollte uns Bösch nahelegen, dass die beiden großen am Theater verhandelten Themen, eben Krieg und Liebe, doch auch ineinander zusammenfallen, sehen wir uns in den Spiegel unserer Gegenwart, wenn die intrigante Fiktion, heutig gesprochen der „fake“, ungeprüft geglaubt und in der (eigentlichen) Hochzeit in einem Tribunal der Moral verhandelt wird. Darin liegt dieser viele Lärm um nichts, Schein bestimmt das Sein. Wollen wir so leben?

Kein Wunder also, dass Leonato auf der handwerklich eindrucksvollen Tischlerarbeit einer Drehbühne auf der Drehbühne (welche übrigens von Bühnenarbeitern im Hintergrund per Hand fürs Spiel in Schwung gebracht und wieder gestoppt wird! Respekt!) die überdimensionale Hochzeitstorte in die Schieflage kippt (Bühnenbild: Patrick Bannwart, Kostüme: Moana Stemberger). Nichts ist es mit der Doppelhochzeit. So viel entzweit hier die Gesellschaft, manches zeigt sich offensichtlicher, schön, dann ist es leicht feststellbar, wenngleich noch lange nicht bewältigt. Anderes aber arbeitet sich aus anderen Ambitionen hinein in eine Welt, die mit ihren Glühbirnengirlanden die Bühne mit der unsrigen im Zuschauerraum verbindet und, ja, sie dreht sich, diese Welt, und sie dreht sich gewiss weiter. Das Wie haben wir in der Hand, in all unserem Kosmos, den die Inszenierung in ihrer Erweiterung darin zeigt, dass irgendwie der ganze Shakespeare vorkommt, zumindest in Figurennamen, Stücktiteln, in allgemein bekannten Zitaten und in der Figur des Narren, zugleich Totengräber, Erzähler, Spielmacher, auch der Autor, das Notizbuch in der zerrissenen Hose, darin trägt er die Einfälle ein, so darunter den für „Viel Lärm um Liebe“, korrigiert dann auf „um nichts“. Christian Higer gibt dieser vielschichtigen Figur auch seine Gesangsstimme. Und auch sonst: Hier läuft das Ensemble zu einer neuen Formebene auf, ob Helmuth Häusler, Lutz Zeidler, Julian Sigl als die Dons am eigentlichen Schauplatz Italien (Pedro, Leonato, Juan), die Ebene darunter mit Kammerfrau Margarethe (Katharina Hofmann) und Begleiter Borachio (Horst Heiss) und erst recht die Liebenden Vivian Miksch (Hero) und Benedikt Steiner (Claudio).

Was allerdings so eine richtige gelungene „Viel Lärm um nichts“-Inszenierung erst ausmacht, ist, dass und wie man Beatrice und Benedikt besetzen kann: Theresa Palfi und Daniel Klausner spielen sich in einen Komödienolymp, was für ein Geschenk ans Publikum! Zwei Musiker, im Outfit doch auch etwas im Horrorclown-Look-Alike dem Narren zur Seite gestellt, jammen sich durch wirklich sehr, sehr viel, was uns Hochzeitsmusik und die Popwelt an Love-Songs als Ohrwürmer tief in unsere Gehörgänge haben einnisten lassen. Nicht nur die kleinen Gesangseinlagen zwischendurch reizten das Premierenpublikum zu Szenenapplaus, nach zweidreiviertel Stunden Spielzeit wurden Saisoneröffnung, Ensemble, leading team und Neustart im Schauspiel frenetisch gefeiert.

Bild: Claudio (Benedikt Steiner, links) und Benedikt (Daniel Klausner) duellieren sich – Foto von Herwig Prammer/mit freundlicher Genehmigung des Landestheaters Linz

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