Kulturpolitik

Die Kunst der Erregung

Ja, die können wir in Österreich, in ihr sind wir unschlagbar. In der Kunst der Erregung setzen wir auf Kontinuitäten von Reiz-Reaktion-Schemata, in Sachen zeitgenössischer Kunst sicher länger als fünfzig Jahre: Ich datiere den Beginn mit dem Aktionismus von Günter Brus (gestern 85-jährig verstorben) an der Universität Wien 1968, in die österreichische Geschichtsschreibung charmant als „Uni-Ferkelei“ aufgenommen. Seither und wohl auch mindestens fünfzig Jahre weiterhin wird der Umgang mit Kunst der Erregung als eigene Kunst der Erregung ihrer Tradition treu bleiben, ganz sicher in den Umgangsformen der Öffentlichkeit damit, auch in den gewählten ästhetischen Mitteln, die zu diesen führen. Es ist nämlich sehr einfach: Nacktheit, Verletzlichkeit, Gewalt, nicht tolerierbare Zärtlichkeit. Oder: alles rund um den und aus dem Körper, Nationalsozialismus, katholische Kirche. Damit funktioniert es. Verlässlich. Zwei jüngste Anlässe in Oberösterreich beweisen es neuerlich.

Binnen zehn Tagen sind in der Zeitreise durch das europäische Kulturhauptstadtregionsjahr Salzkammergut zwei Erregungen da, die am allgemeinen (konservativen) Wahrnehmungsbild von Schönheit rütteln. Den Eröffnungsabend im Kurpark der Kaiser-Stadt Bad Ischl beschloss eine Tanzperformance eingepuderter nackter Menschen. Die Körperbilder der Tanzenden hätten für Diversität gestanden, für die Beteiligung aller am Programm, hieß es. Es tanzten Menschen, deren Körper in Folge gesundheitlicher Indikationen (und also Operationen) entstellt worden sind, mit Narben, durch Amputationen. Sicher, eine Facette von Diversität, aber seltsam reduziert, also darin wenig divers. Wo waren Tanzende unterschiedlicher Ethnien, Religionszugehörigkeiten, Geschlechtsverständnisse? Und warum fügte sich die Performance an ein Programm, das brav unterhaltend massentauglich konzipiert war? Zuerst sangen 1000 aus der Region unter Leitung des Doyens der ein wenig radikalisierten Volksmusik, Hubert von Goisern. Danach trat Conchita (Wurst) auf, auch mit ihrem nunmehr zehn(!) Jahre alten Songcontest-Siegertitel „Rise Like a Phoenix“. Nach diesem beschaulichen, gut hörbaren Unterhaltungsprogramm also ein scharfer, unvermittelter, provokanter Akzent! In den Fernsehbildern, mit denen der ORF versuchte, die Eröffnung am frühen Abend in die Welt zu transportieren, suchte die Regie nach zur Uhrzeit passenden Kamera-Einstellungen. Darum sah man wackelnde nackte Gesäße und im Rhythmus dazu stampfende Beine. Der Puder staubte von den Figuren in Rückenansichten, die sich head-banging-artig zur Musik bewegten.

Zehn Tage später präsentierte der Künstler Gottfried Helnwein an Gebäuden in Gmunden (Oberösterreich) drei seiner fotorealistischen Bilder, großformatig, ein schwer verletztes Kind, liegend mit einem Lachen auf dem Gesicht, ein Kind in SS-Uniform und zwei Mädchen, die einander küssen.

Kunst, Erregung. Was dann geschieht, funktioniert quasi auf Knopfdruck.

Die Reize, die gesendet werden, werden sofort auf eine oberflächliche Zustimmungs- bzw. Ablehnungsebene transportiert. Das, was ausgedrückt, eingemahnt oder aufgezeigt, zur Diskussion angeboten wird, rauscht durch. Im Reiz-Reaktion-Schema des öffentlichen Diskurses geht es dann darum, ob das Dargebotene Kunst ist oder nicht. Wie bewundere ich all jene, die mit Brusttönen gesicherter Überzeugung flugs beantworten können, dass das nicht Kunst ist, diagnostisch sattelfest besonders dann, wenn sich ihnen Mikrofone von Medien nähern! Alles wegen weniger Sekunden Berühmtheit, im Fernsehen oder im Internet.

Im Reiz-Reaktion-Schema des öffentlichen Diskurses wird auch sofort diskutiert, was das gekostet, was es an Geld verschlungen hat. Da wird parteipolitisches Geplänkel laut, besonders gern in einem Jahr wie diesen. Man muss der Jury der Vergabe des Kulturhauptstadttitels neuerlich (wie auch 2009, als Linz sich mit dieser Auszeichnung schmücken durfte, damals gab es in Oberösterreich Landtags- und Gemeinderatswahlen) vorhalten, dass es höchst problematisch ist, das Event an ein Land zu vergeben, das genau in dieser Zeitspanne die Zusammensetzung seines Parlaments neu wählt, Regierungsbildung in Folge. Denn so wird ein Kulturhauptstadtprogramm sofort zum Spielplatz des längst ausgebrochenen Wahlkampfs hin auf einen Wahltag zu, der selbst terminlich noch gar nicht festgelegt ist.

Von einer „Zeit fokussierter Unintelligenz“ sprach der selten um griffige Formulierungen verlegene Altbürgermeister von Wien, Michael Häupl, hier sehr gern. Ihm gibt Recht, wenn dann beispielsweise eine seit Jahrzehnten die Kunstszene gerne torpedierende Partei ausführt, die Eröffnungsfeier in Bad Ischl hätte elf Millionen Euro gekostet (die Summe stellt den Förderanteil der Republik Österreich fürs gesamte Programm dar). Medien kicken solchen Quatsch unreflektiert über ihre Kanäle in die Öffentlichkeit und pflegen darin ihre Kunst der Erregung, indem sie aus der Provokation den Skandal und für die Veranstalter damit eine PR-Kampagne machen. Nur weil es darum geht, mit konstruierten Fortsetzungsberichten und „Analysen“ die Klick- und Kommentierwut im Internet zu Höchstzahlen in der Statistik zu treiben, und das auch nur für eine gesteigerte Attraktivität für den Online-Inseratenkunden von morgen. Und natürlich auf Kosten der eigentlich brisanten, wichtigen, berichtenswerten und zu diskutierenden Themen wie zum Beispiel Kinder und Krieg (Helnwein) oder das Körperbild der Gegenwart (Pudertanz).

Der Verdacht, dass es beim Pudertanz wohl darum ging, was dann medial folgte, nämlich die Verlängerung von Medienpräsenz des sonst am Tag 2 durch nächste Alltagsüberschreibungen verblassenden Spektakels, ist schwierig auszuräumen. Erhärtet er sich, dann müssen sich die Verantwortlichen schon die Frage stellen und gefallen lassen, wie sie der Gruppe der diversen Tanzenden diese Instrumentalisierung zum Werbe- bzw. Provokationsmittel erklären. Die Antwort könnte erregen.

Foto: Hermann Nitsch – 20. Malaktion (1987). Hermann Nitsch (1938-2022) war ein österreichischer Künstler, dessen Schaffen regelmäßig für Erregung sorgte. Foto: Jean-Pierre Dalbéra, Wikimedia Commons, lizenziert unter Creative CommonsAttribution 2.0 Generic [abgerufen am 4.2.2024]

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