Post-pandemisch zeigt sich, dass der wiederholte Fokus zu Zeiten der Lockdowns (in Österreich bekanntlich mangels gelungener Steuerung einer mehr als wirklich notwendig!) ausschließlich auf Arbeiten, Essen, Spaziergehen und Schlafen gesellschaftspolitische Folgen nach sich zieht. Nach den peaks jeweils tagesaktueller Infektionsspitzenwerte sind wir nicht nur in der Corona-Kurve in einer Ebene der Mühen angekommen. In zwei Feldern macht sich das zunehmend bemerkbar: erstens, der jetzige oder künftige Umgang mit Erwerbsarbeit; zweitens: der mit (Aus)Bildung.
Verkürzte Wochenarbeitszeit bei gleichzeitig vollem Gehaltsausgleich ist zwar nicht wirklich neu, Pioniere darin gab es immer schon. Jenes Unternehmen in Oberösterreich, das für ein Jahr lang Verstärkung bei vollem Gehalt mit einer Zwei-Tage(!)-Arbeitswoche (gemeint: Arbeit in einer eigens eingerichteten Wochenendschicht wegen einer auf zwölf Monate voraussehbaren Produktionsspitze) suchte und hunderte Bewerbungen als Echo bekam, gibt ein Extrembeispiel ab, darin natürlich von brennendem Interesse für Medien und vice versa mit schönem Nutzen fürs Marketing dieses Unternehmens.
Schon vor Jahren fiel Pendlern auf, dass sich die klassische Bewegung hinein in die Stadt Linz an einem Freitag seltsam flau ausnimmt. Oberösterreichs Landeshauptstadt definiert ihre wirtschaftliche Kraft nur über tausende Menschen, die zur Erwerbsarbeit in sie pendeln. Außer freitags. Wird da dem Namen dieses Tags alle Ehre erwiesen? Aus der Industriellenvereinigung hörte man zuletzt beides, die Abkehr von Teilzeit und auch die Zustimmung zur Vier-Tage-Woche, wenn an diesen vier Tagen die normale Wochenarbeitszeit (38,5 Stunden) verrichtet werde, im Tagesmittel also knapp 9 Stunden und 40 Minuten, dann sei man offen und könne es sich vorstellen.
Natürlich lebt solches Denken von einem Verlust eines genormten Maßes (acht bis achteinhalb Stunden) an werktäglicher Arbeitszeit in einer zunehmend digitalisierten Arbeitswelt, in der die Erledigbarkeit von Arbeitsschritten über jedes Endgerät und immer verfügbarem Internet zu jeder Zeit und an allen Orten möglich ist. Von workation schwärmen darum dienstleistende Unternehmen, bei denen es egal ist, von welcher Stelle der Welt aus am Laptop über WLAN getan wird, was zu tun ist, sehr gern darum auch vom Strand in Mallorca oder aus Santorin. Kleiner Wermutstropfen: Das Arbeiten (work) im Urlaubsmodus (vacation), gekoppelt workation, dürfe nicht mehr als 182 Tage im Jahr einnehmen, andernfalls würden im Land des wohltuenden Aufenthalts die Steuer- und Sozialversicherungsleistungen anfallen, mit potenziellen Schwierigkeiten, dies später dort nutznießen zu können, wo man die Zeit nach der Phase der Erwerbsarbeit zu verbringen gedenkt.
Der jüngeren Generation, gemeint jene, die nun nach Ausbildung in den Arbeitsprozess einsteigt, sagt man über weite Strecken nach, sie sei eine, die den Vollerwerb (38,5 Stunden pro Woche) nicht mehr zwingend sucht, mehr die Life-Work-Balance (als umgekehrt) im Auge hätte. Das Ausreißen aus der gesellschaftlichen Konvention sei eine Antwort auf Kapitalismus, Gewinnstreben, permanenter Steigerungslogik. Die sozialen Erfahrungen in der Pandemie hätten den Widerstand dagegen gestärkt: In der Pandemie funktionierten wir alle brav, jetzt rebellieren wir. Wir erleben ja auch differenzierte Sichtweisen, erhöhte Schlagzahlen von Anforderungen aus jenen Abteilungen von Unternehmen und Organisationen, die sich im Home Office der Lockdowns nicht voll entfalten konnten, und vermeinen, nun müsste nachgeholt werden, was zu Zeiten des besonders umtriebigen Virus nicht leistbar gewesen sei.
Neben der Sehnsucht nach Leben im hedonistischen Verständnis, somit komplementär zum Lockdown-Minimalismus, zeigt sich auch neben der Tendenz zur schrumpfenden Erwerbsarbeit bei gleicher Bezahlung wie bei Vollzeit eine zur Aus- und Berufsbildung mit so geringer Anstrengung wie möglich bzw. nötig. Curricula, die mit Anspruch vor allem auch an Zeit, die eingebracht werden muss, gestaltet sind, verlieren an Attraktivität und Nachfrage. Studien und Ausbildungen wie zum Beispiel Medizin und diplomierte Krankenpflege werden nur von letzten aufrichtig Motivierten begonnen und bewältigt werden, dementsprechend werden sich bestehende personelle Lücken in bestimmten Branchen in wenigen Jahren nicht schließen, sondern vergrößern.
„Die Mühen der Berge haben wir hinter uns, vor uns liegen die Mühen der Ebene“, schrieb Bertolt Brecht in „Wahrnehmung“ 1949, bezogen auf das Modell der Deutschen Demokratischen Republik als theoretisches Konzept, das sich erst als realisierbar erweisen musste. Vierzig Jahre später passierte das Scheitern in (oder nach) den Mühen der Ebene. Das Zitat, verwendet in Analogie, lobt hier natürlich nicht den einheitlichen Arbeiter- und Bauernstaat in seinem schrecklichen kontrollzwänglerischen Apparat, sondern entdeckt die verwandte Struktur. Sind nicht die Mühen der Berge mit ihren Gipfeln namens Gewinnmaximierung oder Rekordergebnis erklommen und überwunden, selbst unter widrigsten Umständen, einer Pandemie, während der manche Unternehmen trotz Einschränkungen und nicht nur wegen überbordender staatlicher Förderungen satte Gewinne machten?
Allesamt davon erschöpft bewegen wir uns durch die dahinterliegende Ebene und scheuen notwendige Mühen und/oder Anstrengungen, ohne die wir uns allerdings nicht voranbringen werden.
Foto: In der Ebene der Mühen auf dem Weg zum Hoffellsjökull (Island) am 31.7.2019
Kategorien:Philosophie, Soziales Handeln