Ist das das wirkliche Leben? Oder nur Phantasie? Gefangen in einer Landschaft, ohne den Klängen und Geräuschen ihrer Wirklichkeit zu entkommen. Ich öffne meine Augen. Grell ist das Licht und laut war der Knall. Gleichzeitig. Das Gewitter steht direkt über dem Haus. Licht sei zwar schneller als Schall. Doch der Knall reißt mich aus dem Schlaf, die Augen in Blickrichtung Reisewecker, es ist taghell, beide Zeiger liegen stramm ausgerichtet übereinander und zeigen auf exakt 12 Uhr. Schlag Mitternacht also, niemals verstand ich die Bedeutung dieser Redewendung besser. Aus dem Nachbarzimmer wird ängstliches Murmeln laut, auch das Schluchzen eines Kinds mischt sich darunter.
Zum Wechsel eines der ersten auf seinen nächsten von vielen erholsamen Urlaubstagen in Bohinj in Slowenien in den vergangenen zwei Wochen wird mir der Landstrich zum Resonanzraum, hier am Fuß des für die Landsleute „heiligen Berg“, des Triglav, konkret in Stara Fušina. Am See, dessen glatte blaugrüne Oberfläche meine „bohinjska rapsodija“ in ihren Klängen für meine Ohren schärft, lösen sich Nähen und Fernen auf. Der See sammelt die hörbaren Geschehnisse ein, die Tonspuren, so wurde ich im Urlaub ganz Ohr. Nun also ein Remix in ein paar Sätzen der Erinnerung: ans Meisengezänk in den Weidenästen in den sich aneinanderreihenden steinigen Schotterstreifen am Nordufer des bohinjsko jezero (Wocheiner Sees), jeder Abschnitt nur ein paar Meter breit und ein locus amoenus für individuelles Sich-Fallen-Lassen und Verlust jeglichen Zeitbegriffs. Würde da nicht täglich zu Mittag vier Minuten Geläute der Filialkirche zum Heiligen Geiste am Wasser rund 800 Meter gegenüber am Südufer eine Tagesmitte und am Freitag auch die Stunde des Tods unseres Herrn am Kreuz (15 Uhr) markieren. Ich hörte, wie ein Border Collie nur unweit unseres Natur-„Strandkorbs“ in seinem Apportieren eines zwei Meter langen Asts schwimmend aus dem See heraus schön regelmäßig durch seine Nase atmete, eingesogene Luft, ausgestoßene Luft. Da dämpfte sich das Betriebsgeräusch der Kabinenseilbahn auf den Berg Vogel (sprich: wogl) in Überwindung von rund tausend Höhenmetern kurz vor der Einfahrt in die Berg- bzw. Talstation. Das rasch wiederkehrende Geflattere von Hubschrauberrotoren über der Wasseroberfläche im Ostteil des Sees kündete von Rundflügen in nicht allzu weite Ferne. Der Hubschrauber des slowenischen Militärs nahm in einem orangefarbenen Sack am Seil unter dem Rumpf Wasser des Sees auf, um wohl einen von so vielen Waldbränden im dürren und sehr heißen Sommer 2022 zu löschen.
Begleitet wird die „rapsodija“ stets von Schritten auf felsigem bzw. geschottertem Wanderwegboden ein paar Meter entfernt und höher im Rücken des Bohinj-Hörenden, mal durchsurrt von einem Fahrrad, das da vorbeizieht, mal rhythmisch zerhackt von Wanderstöcken, die zur Unterstützung der Schritte mit ihren metallenen Spitzen die Steine treffen, mal babylonisch verwirbelt im Geplauder der Touristen aus Frankreich, Tschechien, den Niederlanden, immer wieder auch ein bisschen Deutsch und viel einheimisches Slowenisch.
Im Wasser gibt mir das eigene einsaugende Einatmen beim Kraulen und das ausatmende Blubbern durch die Nase in die blaugrüne Tiefe hinein eine Art basso continuo und natürlich hörte ich die eintönig sirrende Melodie der vier Propellerchen, die eine Drohne über mir in der Luft hielten. Sie folgte mir und meiner Schwimmbewegung in der Längsachse des Sees – mein Recht an den bewegten Bildern von mir gab ich freilich nicht. Egal. Easy come, easy go. Wie gewonnen, so zerronnen. Wie der Wind auch weht, es kümmert mich nicht.
Den Schlussakkord der „bohinjska rapsodija“ setzt ein viel kleinerer Bruder zum Gewitterknall, ein knappes, aber deutliches „Plopp!“. Es kommt vom See. Bei einem Stand-Up-Paddler springt das Ventil seiner mit hohem Druck luftgefüllten Einbaum-Variante auf. Der Zischlaut der rasch austretenden Luft zeigte in Folge, dass er seine Stand(up)festigkeit sofort verlor. Das Brett knickte an der unsichtbaren, durch seine Füße markierten Kante sofort ein. Gleich darauf ging der Mann ins Wasser. Und schwamm hinter dem immer lascher werdenden riesigen Schwimmbrett ans viel fernere, nämlich gegenüberliegende, aber trotzdem rettende Ufer.
Foto: Bohinjsko jezero (Wocheiner See) in Slowenien, vom Westufer in Richtung Osten, fotografiert am 6.8.2022
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