Ein paar kluge Aussagen aus den vergangenen Tagen umschwirren mich weiterhin. So sagte der Wiener Infektiologe Florian Thalhammer, bei den Massentests wurden die falschen Zielgruppen getestet. Die Tests machten auch wenig Sinn, würden sie nicht zwei- bis dreimal pro Woche (!) wiederholt werden. So sagte der Politikwissenschaftler Peter Filzmaier von der Donau-Universität Krems, die Politik erreiche mit ihren Kommunikationsmitteln, geschult an Wahlkämpfen, keineswegs passgenau für Krisenkommunikation, nur ihre eigenen Wählerinnen und Wähler, nicht aber all jene, die ihnen misstrauen. Da liegt die österreichische Regierung, bemessen am jüngsten Nationalratswahlergebnis, bei 51,36 Prozent der wahlberechtigten Bevölkerung.
Weiterhin bewegen sich die Zahlen der täglichen Neuinfektionen in Österreich auf einem hohen Niveau.
Man muss also die Denkrichtung ändern, in Folge natürlich auch das Handeln. Wird bei all jenen, die zurzeit durch einen Testnachweis den „Positiven“ zugeordnet werden müssen, abgesehen vom gescheiterten und darum eingestellten Contact Tracing, zumindest erhoben, in welchem Berufsumfeld sie sich bewegen, wie sie leben (Beschreibung von Alltag und Gewohnheiten), wo sie wohnen, wie sie wohnen. Es geht also um ein Minimum von qualitativer empirischer Sozialforschung. Würde man diese vollziehen, ergebe sich wohl ein Bild, in welchen sozialen Gruppen vermehrt Infektionen auftauchen. Daraus wiederum ließe sich folgern, wie man an diese sozialen Gruppen mit Informationen, Aufklärung und Präventionsmaßnahmen herankommen kann.
Die Pressekonferenz, im Fernsehen übertragen, zur Hauptabendzeit in der täglichen Nachrichtensendung zusammengefasst, geht ja nur von der optimistischen Annahme aus, dass sich alle hier in Österreich um 19:30 Uhr andächtig vor dem Fernsehbildschirm zum Informationshochamt des Tages versammeln (am Beispiel der Zeit im Bild 1 gestern am 18.12.2020 auf ORF2: Die durchschnittliche Reichweite lag bei 1,555.000 Zusehenden).
Zu Beginn des Pandemiegeschehens bzw. wenige Wochen nach dem Einsatz einer Expertenkommission verabschiedete sich aus dieser der Grazer Public-Health-Experte Martin Sprenger und verwies unter anderem darauf, dass in Österreich sträflich unterlassen worden sei, bei den Infizierten exakt zu erfassen, welche gesundheitlichen Indikationen diese bisher in ihrem Leben zu bewältigen hatten. Nur aus der Sammlung solcher Daten ließe sich in der Forschung ein Wissen aufbauen, was das Coronavirus auf Grund welcher Vorerkrankung bei einem Menschen anstellt.
Datensammeln ist in einer Epidemie auf Grund von Artikel 6 der Datenschutzgrundverordnung (lit. d lebenswichtige Interessen) sehr leicht gemacht. Warum man also diese Chancen für die Bekämpfung der Pandemie nicht nützt, erschließt sich nur schwer. Denn evidenzbasiertes Vorgehen ließe wohl, wie die Juristen als Argumentation führen, zu gelinderen und, wie Wirtschaftsforscher sagen, zu billigeren Maßnahmen greifen, als wir sie in zwei Lockdowns und bald im dritten verordnet bekommen oder mit den Massentests durchgeführt haben.
Anders gesagt: Es ist an der Zeit, dass die Expertinnen und Experten übernehmen. Nur der Wissenschaft ist der notwendige Perspektivenwechsel im Denken und Handeln zur Bewältigung der Pandemie zuzutrauen. Der Politik bleibt die exekutive Ebene der Entscheidungen selbstverständlich vorbehalten. Auch die Verantwortung, dafür ist Politik vom Souverän durch Wahl eingesetzt worden. Damit meine ich schon auch, dass für Fehler, die passiert sind (Versäumnisse im Schutz der Alten- und Pflegeheime beispielsweise) oder passieren werden (was tun bei auftauchenden Spreading-Events? Zum Beispiel beim Schifahren) Konsequenzen zu tragen sind.
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Kategorien:Politik, Soziales Handeln