Ich war am vergangenen Samstag in der Met. Nicht physisch, sondern mit Augen und Ohren, und in 2D, denn natürlich lässt so eine Leinwand den Raum vermissen, klanglich, atmosphärisch, klimatisch. Lebt Theater nicht auch vom Duft verarbeiteter Materialien für Kulissen, Kostüme, Make-Up oder des verbrannten Staubs auf heiß laufenden Scheinwerfer?
Live in HD erlebte ich (mit meiner Mutter, der meine Schwester und ich diesen gemeinsamen Opernabend geschenkt haben) Phelim McDermotts Inszenierung von „Così fan tutte“ aus der Metropolitan Opera in New York. Im Kino, mit uns noch gut 150 weitere Opernkinobesucher im gleichen Saal. Einem Insert zufolge hängen zeitgleich via Satellit 350.000 Zuseher in 70 Kinos dran. Im Schnitt also 5000 pro Saal, in Pasching bei Linz (Oberösterreich) haben wir den hinter dieser Statistik liegenden Besucherschnitt kräftig gedämpft.
Sowohl von Bild- und Tontechnik (absolut synchron!) als auch in der Bildregie überzeugend wird die Vorstellung um 13:00 Uhr Ortszeit (19:00 Uhr MESZ) übertragen. Sängerin Joyce DiDonato begrüßt, führt ein und moderiert in der Pause lockere Gespräche mit den Solisten. McDermott stellt diese „Così fan tutte“ in die fünfziger Jahre. Ferrando (Ben Bliss) und Guglielmo (Adam Plachetka) betreiben darum als Halbstarke in Jeans und Lederjacken ihre Treueprüfungen gemäß des für heutige Begriffe nicht mehr wirklich politisch korrekten Da-Ponte-Librettos, demzufolge die Frauen es so machen, wie es eine gesanglich herausragende Amanda Majeski als Fiordiligi und Serena Malfi als Dorabella in Szenen in Motelzimmern und am Rummelplatz spielen. McDermott bringt als Statisterie Schausteller von Coney Island auf die Bühne, es werden Feuer und Schwerter geschluckt, nicht nur Menschen biegen sich wie Schlangen, auch eine riesige Pythonschlange namens „Rocky Balboa“ hat ihren Auftritt. Dass die Prüfung auf Treue und wahre Liebe wie einer Zauberkiste auf einem Jahrmarkt entsprungen scheint, verdeutlicht die Inszenierung schon in der Ouvertüre, zu der Don Alfonso (Christopher Maltman) und Despina (die großartige Kelli O´Hara) aus so einer Kiste die Schausteller entsteigen lassen und in einem Menschenpuzzle mit Wörtern auf Tafeln wie im epischen Theater angekündigt wird, was nun folgt. David Robertson dirigiert schwungvoll und bringt Mozart symphonisch breit (das konstatiere ich hier als sehr verwöhnter Hörer einer „Così“ vor Jahren im Landestheater Linz, als, so glaube ich mich richtig zu erinnern, Martin Sieghart eine feine kleine kammerorchestrale Besetzung leitete).
Entgegen der Usance stiller Zurückhaltung bis nach Schluss eines Akts spendete das Publikum vor Ort in der Met Szenen und Arien Applaus nach Lust und Laune, bei Despina sogar einmal mittendrein. Eine Anregung für das sich so streng reglementierende mitteleuropäische Opernpublikum? Der von mir hochgeschätzte Kommentatorenkollege und Philosoph der Musikvermittlung, Norbert Trawöger, plädiert ja für mehr Begeisterung. Ich hätte auch gern so manches Mal applaudiert, traute mich allerdings nicht allein gegen den Druck der Stille im Kino an. Dort blieben Darbietung und Solisten gänzlich unbeklatscht. Auch das ein ganz gewichtiger Grund für den Besuch im Theater selbst, neuer Eintrag auf meiner „bucket list“: Met in New York!