Film

Ein Detektiv lügt nicht

Plakat zum Remake 2017 in meinem Lieblingskino

Kenneth Branagh hat schon ein besonders geschicktes Händchen, als Schauspieler wie als Regisseur. Mit dem Remake von „Mord im Orientexpress“ entführt er uns, die wir natürlich den Krimiklassiker von Agatha Christie gelesen und die Verfilmung von Sidney Lumet (1974) gesehen haben, in seine Bilder jener Geschichte aus 1934, die in Folge der Entführung und Ermordung von Daisy Armstrong (Vorbild war Christie hier der reale Fall um Charles Lindbergh) wie kaum in einem anderen fiktionalen Versuchslabor des Kriminalgenres konstruiert, ob es Gerechtigkeit geben kann.

„Wo ist das Gewissen?“, fragt der belgische Detektiv Hercule Poirot, gespielt vom Regisseur selbst, zum Schluss die Missionarin Pilar Estravados (Penélope Cruz): „Im Grab bei Daisy“, antwortet sie.

Wenn man Verfilmungen von bereits gelesener Kriminalliteratur sieht, im Kino oder im Fernsehen, fesselt weniger die Spannung, wie es dem Ermittler gelingt, den Täter zu überführen. Dieses Wissen existiert ja bereits. Das Augenmerk liegt mehr auf einer analytischen Herangehensweise und dem Austausch der im Kopfkino bei der Lektüre entstandenen Bilderwelt durch jene, die die Filmproduktion ersonnen und geschaffen hat. Der „Orientexpress“ in der Version 2017 entgleist auf seiner Dampf schnaufenden Reise durchs jugoslawische Gebirge in einer Lawine, just vor der Einfahrt in einen Tunnel, die wenigen Waggons kommen auf einem Viadukt zum Stehen, Aussteigen ist nur hangseitig möglich, Flucht schon gar nicht.

Der Rezipient bleibt in den Kamerafahrten bzw. -flügen oft Beobachter von außen, und kann sich somit als auktorialer Begleiter mit dem Fall und auch den gesellschaftlich-historischen Begleiterscheinungen (Rassismus) beschäftigen. Für diese derart inszenierte Versuchsanordnung rund um die Befreiung von drückendem Leid, das auf jeder und jedem lastet, bietet Brannagh eine famose Besetzung auf: Tom Bateman, Johnny Depp, Judi Dench, Willem Dafoe, Josh Gad, Michelle Pfeiffer, Daisy Ridley, um nur die stärksten Charakterschauspieler zu nennen. Zur bei Christie üblichen Versammlung von Verdächtigen vor Auflösung der Tat durch den Ermittler sitzen zwölf Personen dann wie zum letzten Abendmahl im Tunnelportal, in das sie sich begeben mussten, während die Lokomotive wieder auf die Gleise gesetzt wird. Vor ihnen stellt Poirot als Forscher in der Eiseskälte der Bergwelt sein Puzzle zusammen, um zwei Bilder zu entwerfen, was geschehen sein könnte. „Wäre es einfach, wäre ich nicht berühmt“, meinte er schon früher. Ein Detektiv wie er könne nicht lügen. Ob er es geleitet von Suche nach Gerechtigkeit doch tat, bleibt in der Entscheidungshoheit des Publikums.

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