Wirtschaftsanwalt Urs Blank steht im Anwesen seines Mandanten Pius Ott vor einem ausgestopften Exemplar. Dieser Wolf habe Unruhe gestiftet, erklärt Ott: „Für das Gleichgewicht in der Natur in meinem Wald sorge ich.“ Dieser Satz fällt am Beginn der Geschichte ganz lapidar im Dialog der beiden Protagonisten und entpuppt sich am Schluss als Schlüsselbotschaft der Filmfassung von Martin Suters Roman „Die dunkle Seite des Mondes“.
Regisseur Stephan Ricks erste große Arbeit für das Kino fokussiert den Machtkampf von Blank und Ott. Blank, diesen knallharten Verhandler, der Unternehmensfusionen mit strategischem Kalkül für seinen Auftraggeber durchzieht, schleudert es aus der Bahn, als sich Dr. Fluri nach Übernahme seines Pharmakonzerns vor Blanks Augen das Leben nimmt. Ist Blank schuld? Woran ist Fluri wirklich zerbrochen? Direkt von Fluris Begräbnis, das Blank aus Distanz beobachtet, zieht es ihn in den Wald.

Ein Männlein sitzt im Walde … Moritz Bleibtreu als Wirtschaftsanwalt Urs Blank – Foto: Felix Cramer/Alamode Film
Ab diesem Moment malen die beiden Kameramänner Felix Cramer und Stefan Ciupek in ihren Einstellungen Bilder. Blank auf einem Felsen, Rückenansicht, herbstlicher Wald: Ein Männlein sitzt im Walde, still und stumm. Eine Referenz zur Malerei der deutschen Romantik, zu Caspar David Friedrich? In vielen Szenen steckt diese malerische Kraft. Eine so hohe Achtsamkeit in der Lichtführung für Mainstream-Kino findet man selten: Gegenlicht, darum dunkle Gesichter, quasi Schattenfiguren auf dem Verhandlungsparkett und im Anwaltsbüro oder auch das Licht auf Lucilles Gesicht, Schatten auf dem von Blank nach ihrer ersten gemeinsamen Nacht. Lucille (Nora von Waldstätten), deren zauberhaftem weiblichen Wesen sich Blank hingibt, ist die Fährfrau in jene Welt, in der der Wirtschaftsanwalt seinen gesellschaftlichen Status abbaut und zerstört. Sie führt ihn zu einem Experiment mit halluzinogenen Pilzen, in diesem Trip bleibt Blank quasi hängen. Seine Hemmschwelle sinkt daraufhin auf Null, „ich habe mich verloren“, reflektiert sich Blank.
Moritz Bleibtreu spielt die temporeichen Übergänge vom bourgeoisen Erfolgstypen in die Phasen eruptiver Aggression und zurück mit einer unglaublichen Intensität, das ist ein schwer preisverdächtiges, tiefgreifendes psychisches Ergründen einer Figur. Dazu kommen in den Rollen seiner Ehefrau Evelyn (Doris Schretzmayer) und auch der Wirtsfrau, bei der Blank für seine Pilzforschungen Quartier findet, Prinzipien eines Schauspiels, in dem minimalste Mimik ganz große Geschichten erzählt. Jürgen Prochnow gestaltet Blanks Gegenspieler, Pius Ott, als eiskalten Jäger, dessen Machtstreben emotionslos nutzenorientiert ist und von dessen Seite als Mitjäger man sehr rasch zum Gejagten werden kann.
Mit seinem Roman „Die dunkle Seite des Mondes“ (erschienen 2000) arbeitete Martin Suter die doppelbödige Schein-Ordnung eines erfolgsorientierten, gewinn- und machtsüchtigen Wirtschaftslebens perfekt heraus. Stephan Rick (mit Co-Autorin Catherina Junk auch für das Drehbuch verantwortlich) hat Suters Kritik fünfzehn Jahre nach Erscheinen des Romans genial fürs Kino übersetzt.