Bildung

Neulich vor vierzig Jahren

Am Mittwochvormittag des 5. Juni 1985, also demnächst genau vor vierzig Jahren, lag ich schaumschlagend in der Badewanne unserer Familienwohnung. Die grünschlammigen Fliesen des aus den siebziger Jahren verbliebenen Designs des schmalen Badezimmers als Schalltrichter nutzend, gab ich meiner Mutter draußen im Vorzimmer lautstark meine Meinung preis. Ja, sie hatte mich zur Beruhigung ins Vollbad gesteckt. Und: „Nein, ich gehe da jetzt dann am Nachmittag sicher nicht hin!“

Meine Mutter nahm sich extra frei an diesem Mittwoch für mentales und kulinarisches Wellness auf den letzten Metern davor. Denn am Nachmittag stand mein Prüfungshalbtag der mündlichen Matura am Akademischen Gymnasium in Linz (Oberösterreich) an.

Wie ich dahin kam, weiß ich nicht mehr, Handlungsroutine mit öffentlichen Verkehrsmitteln, zuerst O-Bus, dann Straßenbahn. Ich ging zum vorletzten Mal (letztes Mal: Maturafeier) in meinem Schülerleben durchs Portal des Akademischen Gymnasiums, die mächtige Stiege hoch in den ersten Stock. Zuerst lernt man da hinaufstapfend Demut in jenem ersten Stiegenteil, vor dem sich jeden Morgen die Schar der Schülerinnen und Schüler versammelte. Sie durfte erst nach einem ersten Glockenzeichen zu ihren Klassenzimmern vorrücken. Für den Einzug der ankommenden Lehrerinnen und Lehrer, die natürlich nicht an die klingelnde Konditionierung gebunden waren, um ins Konferenzzimmer zu gelangen, teilten wir Schülermasse uns, wie es wohl einst Moses mit dem Meer getan haben musste. Unvergessen blieb dabei das tägliche Erscheinen des zu meinen Maturazeiten zwar schon in den Ruhestand verabschiedeten Hofrats als Direktor, ein immer sehr freundliches Männchen, eben nicht groß genug, um die in der Pubertät aufschießenden Oberstufler überragen oder gar überblicken zu können. Nur die Spaltung der Schülermenge wies daraufhin, dass ER gekommen war.

Also hinauf in den ersten Stock, nach links. Mündlich geprüft wurde immer im Festsaal des ehrwürdigen Hauses. Selbst bereits an diesem Juninachmittag 1985 hatte sich Klimawandel schon mit Hitze durch die sonst die Schule sehr kühl haltenden dicken Gemäuer gebissen. Der Vorsitzende, Dr. Karl Mayer, dazumals Direktor des Bundesgymnasiums Werndlpark in Steyr (ich zeigte ihm 32 Jahre später mein von ihm unterschriebenes Maturazeugnis bei einer Begegnung lokalhistorischen Zusammenarbeitens in Garsten), gestattete uns Herren des Prüfungshalbtags das Ablegen der Sakkos.

Hemdsärmelig und weiterhin bis oben zugeknöpft mit Krawatte also ging es ans dreitaktige mündliche Prüfungswerk: Takt eins – Psychologie und Philosophie mit den Aufgabenstellungen Kognitionspsychologie und Philosophie der Hopi-Indianer (Prüfer: Dr. Gerhard Zenaty), Takt zwei – Latein mit der Übersetzung aus Vergils Aeneis, und zwar des achten Gesangs, mit zuvor im richtigen Versmaß zu deklamierendem Text, etwas herausfordernd, weil die Jazzgymnastik des Mädchenturnens im Turn- unter dem Festsaal einen anderen Beat schlug als einen Hexameter (Prüfer: Dr. Wolfgang Seitz) und, last but not least, Geografie mit den beiden Fragen zur geologischen Struktur Österreichs und der Gliederung des Kontinents Afrika (Prüfer: Mag. Robert Weis). Mit der dreimaligen Beurteilung „Sehr gut“ sicherte ich mir den ausgezeichneten Erfolg meiner insgesamt siebenteiligen Reifeprüfung (vier schriftliche Prüfungen zuvor in Deutsch, Mathematik, Latein und Altgriechisch).

Am kommenden Freitag treffen wir 8B des Jahrgangs 1985 uns wieder, es war ja erst „neulich, vor vierzig Jahren“, wie das Organisationsduo schnippisch die Einladung überschrieben hat. Mich erreichte der Check, ob ich die Mail-Einladung erhalten hatte, via WhatsApp (weil in der vor zehn Jahren erstellten Mailingliste nun ein Blindgänger war und H. tapfer versuchte, diesen zuzuordnen) und ob ich dabei sein werde, an einem sensiblen Ort unseres Abschlussschuljahrs. Ich antwortete: „Zweimal JA“ und „Ich [als Schuldirektor; Anm.] stehe gerade bei der Eröffnung des Maturaballs unserer Schule. Palais Kaufmännischer Verein ,,, neulich, vor 40 Jahren und 23 Tagen, 5.2.1985.“ – „Ja, ganz sentimental werde ich da angesichts dieser Erinnerungen“ an unseren Ball, schrieb H. zurück.

Wir versinken also demnächst gemeinsam in unseren Sentimentalitäten. Was freue ich mich darauf!!

Foto: Das Portal des ehrwürdigen Akademischen Gymnasiums in Linz (Oberösterreich), 20. Mai 2025

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