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Die Systemsprenger

Zugegeben, ich kannte den Begriff noch nicht. Als ich ihn am Montag in der Karwoche im Zusammenhang mit der österreichischen Kriminalitätsstatistik 2024 hörte, schreckte ich mich. Was für eine furchterregende Kraft in diesem Kompositum! „Systemsprenger“, Teil eins beschreibt den Handlungsraum, der ist mit „System“ groß und mächtig; im zweiten Nomen liegt Aktivität, „sprengen“ als Tat. Ich musste nachsehen, was es mit diesem Fachvokabel auf sich hat.

Das tue ich wie jede und jeder andere auch zuerst einmal mit Google. Ich stoße auf einen Film aus dem Jahr 2019, der sich den Begriff als Titel erwählt hat. Darin geht es um eine Neunjährige, die „einen Leidensweg zwischen wechselnden Pflegefamilien, Aufenthalten in der Psychiatrie und Heimen und erfolglosen Anti-Aggressions-Trainings durchläuft“ (Quelle: Wikipedia – Systemsprenger (Film), abgerufen am 18.4,2025). Und natürlich las ich nochmals die Berichterstattung zur Präsentation der Kriminalitätsstatistik nach. „Karners Sorgenkinder“ (Karner, d.i. Gerhard Karner, der österreichische Innenminister) nennt das vertrauenswürdige Blatt in seiner online-Ausgabe diepresse.at in Übernahme der Agentur-Meldung der APA (Austria Presse Agentur) die Gruppe der Zehn- bis Vierzehnjährigen, deren Anzeigenvolumen sich in den vergangenen Jahren verdoppelt habe. Für 2024 gibt die Statistik für diese Altersgruppe die Auskunft, dass rund 12000 Anzeigen gemacht worden sind.

„Laut Dieter Csefan, Leiter der im vergangenen Jahr neu gegründeten Einsatzgruppe zur Bekämpfung der Jugendkriminalität, gibt es vor allem ein Problem mit sogenannten Systemsprengern: Das sind minderjährige bzw. unmündige Intensivtäter, die mehr als 50 Taten pro Monat auf ihr Konto bringen.

Die aktivsten unter ihnen haben mehr als 150 Strafanzeigen pro Monat auf ihrem Kerbholz. Die Nummer eins liege bei mehr als 1200 Straftaten insgesamt, die Nummer zwei bei mehr als 1000 und die Nummer drei bei über 900 Anzeigen. „Die drei sind alleine für 28 Prozent der Straftaten von unter 18-Jährigen bei Einbrüchen verantwortlich“, führte Csefan aus.“ (Quelle: diepresse.at/APA, abgerufen am 18.4.2025).

Ich verstehe den Begriff Systemsprenger in seiner Fachlichkeit in Pädagogik und Psychologie, wo er für Klientel steht, der keine wirksamen Hilfsmaßnahmen zur Verfügung steht, weswegen diese Jugendlichen eben „das System“ (an Hilfe) „sprengen“. Die Anwendung des Begriffs in der Kriminalitätsstatistik misst Delikte (pro Monat). Das irritiert, weil zwei verschiedene Rollen in der Gesellschaft mit ein und demselben Begriff bezeichnet werden. Besorgniserregend ist im kriminalistischen Zusammenhang das „Podest“ bzw. der „Spitzenreiter“: 1200 Anzeigen in einem Jahr sind mehr als drei pro Tag. Von einem Maßnahmenbündel statt der Senkung des Alters der Strafmündigkeit wird gesprochen bzw. geschrieben. Unsere Gesellschaft ist dahingehend kräftig gefordert. Medial kann man hier in Oberösterreich, insbesondere im Zentralraum, nicht nur den Fall eines Jugendlichen (für den der Boulevardjournalismus als Kosename „Bubi“ kreiert hat) verfolgen, der die Schwelle zur Strafmündigkeit in seinem jungen Lebensalter nun vor knapp zwei Jahren überschritten hat – alles, was davor war, fällt unter strafunmündig – und nach erster Verurteilung und Haft freigelassen die schiefe Bahn wieder betrat, er erwartet in Untersuchungshaft eine nächste Gerichtsverhandlung.

Am Karfreitag trugen die Medien uns einen Unfallbericht zu, ein 15-Jähriger bezahlte die Spritztour mit einem Auto, an dessen Steuer er saß, mit dem Leben, zwei Schwerverletzte gibt es zudem. In einer zweiten Präzisierungswelle schoben die Medien nach, dass es sich um einen amtsbekannten Jugendlichen handelte. Es sieht danach aus, dass auch hier Hilfsangebote nicht verhindern konnten, dass ein sozial integriertes Leben im Rahmen der hierorts geltenden Gesetze und Regeln hätte möglich werden können. All den gehässigen Kommentaren, die dann online zu lesen sind, (auch diese irgendwie in unserer Gegenwart „systemsprengend“) ist zu erwidern: Tod ist niemals Maßnahme, Tod lässt das Problem „Systemsprenger“ nicht als gelöst betrachten.

Foto: Pexels/Free Photo Library (Ergebnis nach Suchbegriff „adolescence“)

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