Der mitteleuropäische Mensch strebt im Sommer nach Abkühlung. Dabei zieht es ihn in Massen weiterhin südwärts, dorthin, wo es noch heißer zugeht als zu Hause. In der Luft misst man in Ländern am Mittelmeer schon gerne 40 und mehr Grad Celsius, das Meer wartet etwa vor Valencia oder Kreta mit Temperaturen um 28 Grad auf.
Dabei verlangt nicht nur das Wetter, sondern auch die Überhitzung im beruflichen wie im gesellschaftlichen Geschehen (Österreich zwischen den Wahlkämpfen zur Europa- und Nationalratswahl!) nach Abkühlphasen. In den Seen des engeren Einzugsgebiets meines Alltags lassen sich diese nicht mehr finden. Das merkte ich, als ich Mitte Juli in den Stamm-See meiner Freiwasserschwimmaktivitäten stieg, Badewanne, offiziell 27 Grad, die werden aber irgendwie deutlich unter der Wasseroberfläche gemessen, oben auf gibt´s ein paar Grade dazu. Die Wasserqualität erwies sich in ihrer Anreicherung an Pollen und Schmiermitteln des Sonnenschutzes als grenzfällig zum wirklich Ungustiösen. Tags darauf war meine Nase zu, Schwimmerschnupfen, sagen wir Sportler dazu. Der vergeht, bei mir tat er es nicht. Am Tag zwei sagte ich mir: die Pollen! Die waren es allerdings auch nicht. Am Tag drei danach, zugleich Tag drei vor Abreise in den Urlaub entpuppte es sich als das, was man nicht im Hochsommer und erst recht zu Ferienzeiten erwarten würde, eine richtige Erkältung, all inclusive. Natürlich fuhr das Wattestäbchen an die Nasenschleimhaut, ein Tupfer dort, wirklich nur eine Berührung löste Sekretproduktion im Übermaß aus. Ich erspare allen hier Details zu Konsistenz und Farbe. In der Testkassette blieb der Strich einfach.
In jedem Fall stieg ich am Montag danach ins Flugzeug nach Schweden, erlebte Sinkflug auf Stockholm-Arlanda mit Ohrenschmerzen und sich reduzierender Hörleistung mangels Druckausgleichs auf eine temporäre Schwerhörigkeit, die mich in meinem Leiden isolierte, nämlich der Gewissheit, zwar alles eingepackt zu haben, um in einem der 68000 Seen in Schweden zu schwimmen und es nicht realisieren zu können. Denn: Ein guter Schnupfen dauert zwei Wochen – wenn nicht, dann vierzehn Tage. So zu wie zuerst die Nase war und flugs gefolgt die Lunge mit Schleim wurde, würde man ja, aus Egoismus und Protest, dennoch ins kalte erfrischende Nass tauchen wollen, aber atemtechnisch abgestellt erzwingt sich das Vernunfthandeln von selbst und so sitzt man am See, den man in Mittelschweden vor 13 Jahren für sich und die Familie entdeckt, dieses Mal wieder gefunden hat, und sieht der Liebsten beim abkühlenden Plantschen zu.
Ich schwamm in Schweden also passiv. Im angemieteten Blockhaus, vorm Fernsehmonitor, vor Eurosport und den abendlichen Übertragungen olympischen Schwimmens im Pool aus der Pariser La Defense Arena. Natürlich schwamm ich da im Geiste neben den Größten der Szene im 50-Meter-Becken, es ließ sich im verschnupften Kopf wunderschön ausmalen, Bahn 9. „Wo bist du, wenn die schon fertig sind?“, fragt sie mich beim gemeinsamen Lümmeln auf der Fernsehcouch. Ich: „Auf der zweiten Länge, man muss dem Publikum fürs bezahlte Geld ja auch etwas bieten.“
Draußen hat es 10,8 Grad, drin etwas um 21 Grad. So zeigt es das Thermostat im Blockhaus an. Das hier ist ein Sommer, um wieder einen kühlen Kopf zu bekommen und ihn dann zu bewahren. Hier verfolgt er mit Interesse, wie sich der Franzose Leon Marchand viermal durchs Chlorwasser zu Gold bewegt, das er – ab welcher seiner Medaillen eigentlich? – vor Augen hatte, nämlich in seiner Schwimmbrille, also ihrer Farbe, die sich, wenn er sie absetzte, auf seine Augenbrauen abzufärben schien. Aus dem bleichen Gesicht schillerten die Brauen gülden, für den Helden des französischen Publikums, das ihn vor allem in der Lage Brust Zug um Zug mit dem skandierten Vornamen, tausendfach gebrüllt, durchs Becken trieb.
Abkühlen! Das geht auch sehr gut, wenn man übers Fjäll wandert, und ab der Baumgrenze der Wind die Kapuze der Wanderjacke gern über den Kopf ziehen lässt. Schweden könnte, wie Skandinavien überhaupt, touristisch vom Klimawandel profitieren, wenn sich die Ströme der Urlauber einmal in andere Richtungen als den heißen Süden lenken wollen, Noch ist das nicht eingetreten, ich habe da nichts dagegen und unterdrücke nähere Auskünfte dazu, wo wir unsere Oasen der Abkühlung finden, in einem Land, das ja sehr groß ist, so groß, dass es, wenn man es an der Südspitze Malmö wie einem Scharnier in den Süden klappen wollte, Sizilien erreicht. Schweden, der Süden wohl ausgenommen, hält sich in der touristischen Erschließung zurück. Möge es noch sehr lange so bleiben.
Foto: Ja, Schweden natürlich, bewusst aber ohne nähere Angabe!

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