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Die drittschönste Nebensache

Mein Prinzip lautet stets: Gruppenphase? Die lasse ich aus. Ich steige erst ein, wenn es um was geht, also Auf- oder Ausstieg. So richtig wohl fühlt man sich bei einem Länderspiel zudem nur dann, wenn die eigenen Farben mit am Platz sind.

Die Partie im Semifinale 2 am vergangenen Donnerstag blieb anfangs von der Taktik her eintönig. Malta, Albanien, Griechenland schickten immer ein dunkel-, langhaariges Kehlchen mit einer Vierer-Kette Tänzer aufs Feld, schnelle Beats, schnelle Tanzschritte, ein bisschen Akrobatik. Ui, dieses Spielkonzept gleicht unserem! Fast!! Nur die Haarfarbe wird den Unterschied machen. Zuvor gaberlt sich der stimmliche Trickser-König aus der Schweiz auf seiner Drehscheibe durch die musikalischen Stile. Tschechien zeigt danach eher etwas aus dem Trainingslager. Der Franzose läuft in Weiß ganz allein auf drei Minuten übers Feld, ein Flitzer en blanc, außer Konkurrenz, weil qualifiziert.

Dann Österreich. Was sagt man vorm Fernsehschirm? Übliche Mittelklasse, Ziel Finaleinzug, aber ja nicht gewinnen. So eine Durchführung im nächsten Jahr kostet jeder Fernsehanstalt immenses Geld. Die Dänin spielt am „Sand“-Platz. Dann ist einmal Schluss mit den Solistinnen. Armenien macht so etwas wie eine Stadionwelle auf der Bühne mit viel „la-la-la“, Trompete und Flöte, ohne Vuvuzela, schade, sie hätte gepasst. Der Lette wird in social media als Meister Proper gelesen, ich sehe in ihm Gianni Infantino, den FIFA-Präsidenten, der sich den Finalplatz mit einem langweiligen Lied wohl gekauft hat. Spanien (außer Konkurrenz wie Frankreich) vertritt so eine Art Hooligan-Choral, denn das Lied mit Titel „Zorra“ (Schlampe) wird im Publikum im Refrain kräftig mitgesungen. Danach nochmals Spanier als Gastarbeiter für San Marino, ich übernehme den Kommentator-O-Ton: „die Kinder von Lordi und Hello Kiddy!“. Georgien bleibt ohne Erinnerung, aber mit Finalplatz. Italien (qualifiziert wie Spanien und Frankreich) preist drei Minuten die Langeweile („la noia“), das löst Belgien dann zwei Minuten lang ein, Refrain, „bevor die Party vorbei ist“, sie ist es. Estlands Männertruppe spielt mit Pferdeschwanzharfen, fehlenden Sakkoärmeln und folkloristisch angehauchten Gesang-hüpft-von-Mann-zu-Mann-Kombinationen erfrischend anders. Israel wird in der Halle ausgebuht und die Regie legt eine Aufnahme von tosendem Applaus drüber. Norwegen sucht den Ball in der Finsternis der eigenen Mythologie und der Klamauk aus den Niederlanden endet tränendrückend in der Dankbarkeitsadresse an den verstorbenen Vater.

Am Samstag wurden neun statt zehn davon (Niederlande wurde disqualifiziert) und die drei Fixstarter um nochmals so viele (plus eins) im großen Finalspiel erweitert. Man klebt als Europäer irgendwie pflichtbewusst vorm Fernseher, ärgert sich über die verlässlich guten Punkte-Pässe innerhalb der Großregionen des Kontinents, Skandinavien unter sich, Osteuropa ebenso, Süden brav und sich treu. Nur in den D-A-CH-Staaten (Deutschland, Österreich, Schweiz) haut das nie und nimmer hin. Zuerst die Jurywertungen in vielen Schaltungen in Hauptstädte, die zwölf Punkte werden immer sehr eindeutig zugesprochen, monoton fast, fad. Dann die Publikumswertung dazu: Da geht dann nochmals ein Raunen durch die Ränge im Stadion des Finales in Malmö. Schlussendlich ist der neue Europameister gekürt: Schweiz. Favoritensieg.

Längst hat der Tag gewechselt. Um 00:48 Uhr schalte ich das Fernsehgerät ab. Das Überziehen weit über Mitternacht rächt sich im Körper eines Mittfünfzigers. Zum Jetlag gesellt sich mein jährlicher Ärger danach über verlümmelte Zeit auf der Fernsehcouch. Auf der hätte sich jeder schöne Film aus irgendeiner Konserve oder ein wunderbares Buch mit mehr Ertrag konsumieren lassen. Polarlichter schauen wäre auch eine Alternative gewesen. Im nächsten Jahr dann, denke ich mir, lasse ich es sein. Und zwar wirklich.

Übrigens, auf zur zweitschönsten Nebensache! Zwar steckte da ja schon viel Fußball drinnen, dabei kommt die eigentliche Fußballeuropameisterschaft erst in gut fünf Wochen. Die Niederlande sind hierbei noch nicht disqualifiziert, sondern mit Polen und Frankreich in der Österreich-Gruppe.

Foto von Vugarlbardov: Symbolbild für den Eurovision Song Contest, konkret aus Baku 2012, dankend verwendet unter der Lizenz von  Creative CommonsAttribution-Share Alike 3.0 Unported [commons.wikimedia.org, abgerufen am 10.5.2024]

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