Medien

Die Realität von Kulturjournalismus

Dieser Text erscheint sehr bewusst am Vorabend zu einer Veranstaltung des Oberösterreichischen Presseclubs in Linz (Oberösterreich), die am 22. April 2024 um 18 Uhr als Kurzsymposium (zwei Stunden Dauer) mit dem Titel „Lebendiger Kulturjournalismus – Was braucht es in Oberösterreich?“ stattfindet.

Abgesehen vom Rätsel um das Adjektiv „lebendig“ im Titel (gibt es auch „toten“ Kulturjournalismus?) interpretiere ich aus der Beschreibung der Veranstaltung, dass es um grundsätzliche Fragen geht: nicht zuletzt für die unendliche Zahl jener, die die Kulturlandschaft gestalten, die Kulturvereine, um ihr Begehren, mit dem eigenen Tun in den Sonnen der Massenmedien Licht und Wärme zu bekommen.

Ein altes Lied, immer wieder gesungen. Wie oft habe ich es selbst, als ich tagesjournalistisch für Kulturressorts tätig war, gehört? Als Echo erklingt es also aus vergangener Zeit bis heute. Einiges hat sich sicher nicht, weniges vielleicht verändert. Ich erlaube mir mit meiner mehr als 35jährigen Kulturjournalistenerfahrung (unterschiedlich intensiv, heute im Ausmaß, wenn Nosing Around durch Theater, Ausstellung, Konzert, Film oder ein gutes Buch geht) ein paar klare Positionierungen:

Nähe und Distanz. Kulturjournalismus benötigt von allen, die ihn praktizieren, Nähe in Empathie fürs Künstlerische und gleichzeitig die nötige Distanz in der Rolle der Vermittlung zwischen Kunst und gegebenem oder neu zu erreichendem Publikum. Distanz bedeutet auch, dem weit verbreiteten Missverständnis von veranstaltenden Einrichtungen zu entkommen, dass Kulturjournalismus die Verlängerung der eigenen medienorientierten Marketingarbeit sei. Distanz bedeutet weiters: Kulturjournalismus ist nicht die Stimme des ohnedies nie klar zu definierenden (Massen)Geschmacks eines Publikums (im unbestimmten Artikel liegt Wertung, es gibt nämlich nicht das Publikum, es gibt ein Publikum und viele Publika). De gustibus non est disputandum. Über Geschmäcker kann man nicht streiten.

Review als Einordnung fürs Vorankommen. Kulturjournalismus ist ja eigentlich Kunstjournalismus und mit der englischen Bezeichnung „review“ aussagekräftiger näher an der Aufgabe. Denn Kernbereich ist die Rezension, das ist die Aufgabe an Journalistin oder Journalist als ein Mensch im Publikum mit Zusatzverpflichtung (zu berichten und zu bewerten). Dabei leistet sie/er aus einer wie auch immer gelagerten Vorbildung (von Studium bis Autodidaktik) schöpfend, eine Einordnung des Rezipierten in den voranzutreibenden Fluss steter Weiterentwicklung von Kunst in all ihren Ausdrucksformen. Kunstjournalismus hat hier die Aufgabe, Spiegel zu sein. Das Bild wirft sich nicht einfach zurück, es kann sich dabei auch verzerren und beide Seiten zum Nachdenken und An-Sich-Weiterarbeiten anregen. In dieser Dialektik liegen Leben (die „Lebendigkeit“?), der Reiz, das Amüsement dieser Form von Journalismus.

Die Macht des Worts in der Rasanz des Meinungsmarkts. Längst sind Zeiten des Kunstrichter-Seins Geschichte. Historische Scharfrichter wie Theaterkritiker Alfred Kerr (in verschiedenen Varianten überlieferte Kürzestvernichtung eines Theaterabends in etwa so: „Als ich das Theater verließ, regnete es. Auch das noch!“) gibt es nicht mehr. Auch die mit angehaltenem Atem erwarteten, intensiven Bewertungen in noch online-losen Medienzeiten (nicht weniger gehässig in so mancher sehr fein geführten Formulierungsklinge) sind längst vorbei, etwa als Benjamin Henrichs in Die Zeit im deutschsprachigen Raum Schauspiel in den Olymp heben konnte, Franz Endler (Kurier) im Bereich klassisches Konzert und Musiktheater gefürchtet war, Sigrid Löffler im profil zu Literatur und Theater ihre kritische Stimme erhoben oder Karin Kathrein in Die Presse dem Theaterschauplatz Wien Qualitätsdefinitionen zugeschrieben hatte. Ihre Formate hatten Wirkung, Kraft, Anspruch, das war Feuilleton, ein Begriff, heute nichts mehr außer ein altmodisches Vokabel, das in der Rasanz des Meinungsmarkts im Wettlauf um die meisten Klicks, die mit Kunstjournalismus ohnedies nicht in gewünschten fünf- bis sechsstelligen Zahlen zu erreichen sind, kaum mehr Realisierung finden kann. Denn die Muße des Schreibstils eines Feuilletons entfaltet sich erst in der Entdeckung der Langsamkeit. Ihr Feind ist die Stoppuhr mit dem sofort gefassten Urteil mit fallendem Vorhang und gleichzeitigem Upload aufs Online-Portal des Mediums. Speed kills. Auch Kunstjournalismus wird zunehmend ausschließlich online. Reflexionszeit (quasi „black box“ zwischen Darbietung und Erscheinen von „review“) geht unwiederbringlich verloren.

Darstellendes kickt Kreierendes. Der Speed geht auch zu Lasten von „review“, der Zeit (des Lesens) benötigt. Literatur: Die Buchbesprechung wird in den Medien nur noch von wenigen Menschen hochgehalten. Wenn diese ablassen, aus welchen Gründen immer, ist der Resonanzraum für die schriftgewordene Auseinandersetzung mit Literatur jeglicher Gattung verloren. Denn die Konzentration des Kunstjournalismus gilt heute der darstellenden Kunst (Theater, Kino klassisch und Streaming, Musik in allen Sparten). Gegen den Verlust der Reflexion oder des Diskurses von bildender Kunst stemmt sich diese nur, wenn sie in großen Häusern präsentiert wird oder in Eventverpackung oder unter Dachmarken präsentiert wird, die die Aufmerksamkeit heben (z.B. Biennale, Kulturhauptstadt, Landesausstellung).

Kulturjournalismus kontrolliert. Da Kunstjournalismus wie jeder gute Journalismus vierte Macht (neben Legislative, Exekutive, Judikative) im Staat ist (darin Kontrolle dieser Mächte), beschäftigt er sich auch eingehend mit dem Kunstbetrieb, wo dieser von der öffentlichen Hand, also allen Steuerzahlenden, kräftig mitfinanziert wird, in Kontrolle der eingesetzten Mittel zum Wohl der Zielsetzung der jeweiligen kulturellen Einrichtungen und der von ihnen angesprochenen Publika. Insofern ist Medienarbeit von Kulturvereinen in Richtung etablierter Massenmedien nicht mehr als ein Anbieten: Dieses müsste schon Avantgarde als Ambition zeigen, um zum oben benannten Fluss steter Weiterentwicklung von Kunst beizutragen. Dann öffnet sich hier vielleicht das gewünschte Fenster zur Welt. (Bereits anderswo Erprobtes) Gut veranstaltet zu haben, verheißt dies sicherlich nicht. Jeder kann einen ausverkauften Abend mit einem Kabarettisten auf die Beine stellen.

Intransparenz der Effekte. Das Internet lässt aber vieles zu. Auch wenn es für journalistische Spielregeln keine Verbindlichkeiten kennt, kann jede kluge Initiative zu mehr Demokratisierung des Meinungsweltschauplatzes Web beitragen. Insofern sei dies eine Ermutigung an die Kulturvereine zu DIY oder Autonomie in der Bestimmung der eigenen Öffentlichkeit mit dem Massenmedium Internet. Es lässt ja eine „Realitätskonstruktion der Gesellschaft“ (Niklas Luhmann) zu, denn weite Verbreitung, sagt Luhmann, ermögliche anonyme und unvorhersehbare Kenntnisnahme. Das ist ja wohl der Kern des Reizes am Massenmedium und der Traum aller, anonym und unvorhersehbar weit bekannt zu werden, fame (Ruhm), länger als nur 15 Minuten, die uns Andy Warhol versprochen hat. „Der Effekt, wenn nicht die Funktion der Massenmedien scheint deshalb in der Reproduktion von Intransparenz der Effekte durch Transparenz des Wissens zu liegen“, schreibt Niklas Luhmann (in: Die Realität der Massenmedien. 2., erw. Aufl., Opladen 1996, S. 183, Hervorhebung im Original.) Dem will die morgige Veranstaltung gerecht werden, also: Mit Wissen, wie es geht. Und das ist Wissen, das es gesichert nicht gibt. So ist das mit den Massenmedien.

Foto: Pexels/Free Photo Library  – Nostalgisches Symbolbild, Print (Papier) wird verschwinden, wahrscheinlich schneller als gewünscht

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