Was wäre gewesen, wenn? Wenn Hitler in Wien zum Kunststudium zugelassen worden, wenn er Kunstmaler geworden wäre? Jede Ausdeutung dieser Fiktion verheizt Energie sinnlos. In der Ausstellung „Die Reise der Bilder“ nun im Lentos Kunstmuseum in Linz (Oberösterreich) liest man von der Sammelleidenschaft des Führers. Schon zu Zeiten seines Berufswunschs akademischer Maler schwärmte er für Kunst, die er durch den jüdischen Kunsthandel als blockiert für den Markt gehalten hatte, seine eigene war mitgemeint.
„Die Reise der Bilder“ ist ein zentrales Ereignis, als dieses in der Landeshauptstadt situiert, des Kulturhauptstadtgeschehens, das sich sonst seit Ende Jänner und weiter bis November 2024 in zwei Dutzend Gemeinden des Salzkammerguts realisiert, dort also, wo im Zweiten Weltkrieg Kunst des 8. bis 20. Jahrhunderts in den Stollen des Salzbergwerks von Altaussee und auch in Lauffen gesichert worden war, geraubt, beschlagnahmt, billig notverkauft von jenen, die des eigenen Überlebens wegen flüchten mussten. Seltsame Vögel des Kunsthandels umschwirrten diese Szene, mischten sich unter die Sommerfrische hoher Nationalsozialisten, weil das gute Geschäfte versprach, zwei prominente Namen: Wolfgang Gurlitt und Johannes Hinrichsen.
Die von Elisabeth Nowak-Thaller gemeinsam mit Birgit Schwarz kuratierte Ausstellung bringt hoch interessantes Wissen zu über 80 Werken und ihren Weggeschichten ins und dann wieder aus dem Salzkammergut und es wäre eine kunsthistorische Schwere mit viel, was es zu lesen gilt, wenn nicht die Entscheidung für das Gesamtbild von zwei behutsamen künstlerischen Interventionen getragen wird. Das macht das lexikalisch Dichte aller Informationen rezipierbar. Zwar lösen sich aus den Biographien der Handelnden Stimmungen als atmosphärische Akzente (wie etwa die Machenschaften der Kunsthändler). Kunst in den Fängen des Nationalsozialismus, in Bestimmung nicht nur für das für Linz ersonnene „Führermuseum“, sondern für mehrere Häuser im gesamten Reich, und zum Schutz der Kunst im Kriegsgeschehen in Stollen und behelfsmäßig auch in alten Häusern oder Wirtschaften gelagert: Das ist nur das, was im Saal reihum die Wände ziert, dicht gehängt, überfüllt, überladen, in Petersburger Hängung, benannt nach dem System in der Eremitage. Die Wand wird genutzt und nachgerade bedeckt mit den Werken.
Intervention eins: Das Designerduo für das Gesicht der Ausstellung, Nicole Six und Paul Petritsch, schattiert die Wandfarben, man will die Werke nicht auf Weiß blitzen lassen, und zwischendrin schaut man über Monitore in Filmen der beiden „hinaus“ in jene Gegenden, wo die Bilder hinreisten.
Intervention zwei: Die Mitte des Saals zeigt auf einem großen Teppich Wohnzimmernachbau, wie er zu nationalsozialistischen Zeiten gestaltet gewesen sein mochte, überdimensionierte Gedecke fallen auf. Warum denke ich da an Thomas Bernhards Dramolett „Der deutsche Mittagstisch“? Wer ist zu Gast, wer nicht? Die deutsche Künstlerin Henrike Naumann variiert hier ein Konzept (aus 2019) ihrer Installationskunst mit Titel „Ruinenwert“ (aus historischen Möbeln). Spitz zulaufende Schrankwände mit viel Glas bringen quasi älplerische Horizontlinien in den Saal.
Diese Ausstellung erscheint als eine Art Konstrukt eines großen deutschen Wohnzimmers, ein Heim, nicht heimelig, ganz und gar nicht gemütlich, das wäre falsch. Doch ist das Symbolbild als Gesamtes stark: Die in die Stollen geschickten Bilder (filmische Aufarbeitungen zum historischen Kampf um die Bilder bieten „Monument Men“ von George Clooney und „Ein Dorf wehrt sich“ von Gabriela Zerhau) werden zu Wandschmuck einer inszenierten Überhöhung einer Ideologie. Der Kunstgeschmack ist der von Hitler, es spiegelt sich sein ästhetisches Maß, viel Landschaft, viel Biedermeier, unter anderen Waldmüller, Schwind, Böcklin, Molenaer, Munch.
Mir ist wichtig, im Zusammenhang mit „Die Reise der Bilder“ einer Pionierleistung von Provenienzforschung durch einen Künstler hier Platz und Erinnerung zu geben: Der in Toronto geborene Robert Adrian X (1935 – 2015), er kam 1972 nach Österreich, rekonstruierte die Wege von vier Werken bis zur Lagerung im Stollen des Salzbergwerks Altaussee und auch wieder von dort weg. Ich war mit ihm im Stollen, ich versuche seit Wochen zeitlich einzugrenzen, wann das war. Ich komme auf eine Zeitmarke so um 1990. Ich weiß, wer zu unserer kleinen Gruppe gehörte, die in den Stollen ging, darunter war u.a. der Grazer Kurator Reinhard Braun, dem ich verdanke, dass ich dabei sein durfte. Robert Adrian X gestaltete dazumals (und also in einer Zeit noch vor Internet in der uns heute allseits vertrauten Verfügbarkeit) „Netzkunst“. Digitale Werkzeuge ließen an einer Monitor-Station zu, sich die Wege von vier Bildern bis Altaussee und von dort wieder weg abzurufen. Die Installation wurde bewusst in den Stollen gestellt, denn in ihm fand sich ja der Kreuzungspunkt von vier alten Meistern, die ansonsten keinerlei Berührungspunkt zueinander gefunden hätten.
Die Ausstellung „Die Reise der Bilder“ ist im Lentos Kunstmuseum in Linz (Oberösterreich) bis 8. September 2024 zu sehen.
Foto: Ausstellungsansicht, in der Mitte „Ruinenwert“ von Henrike Naumann – Foto von Violetta Wakolbinger, mit freundlicher Genehmigung von Lentos Kunstmuseum Linz
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