Politik

Das Gesicht des Widerstands

Am Nachmittag des 16. Februar 2024 schreckt mich die Nachricht im Radio, Eilt-Meldung: Alexej Nawalny ist tot. Mich gruselt es in diesem Moment. Mein erzieherisches Wirken als Lehrer umfasst den Auftrag zur politischen Bildung. Im Rahmen der schulinternen ökumenischen Weihnachtsfeier zum Thema „Hoffnung“ am 23. Dezember 2023 brachte ich in meiner kleinen (sehr weltlichen) Ansprache, die ich halten durfte, unter „Hoffnung“ auch jene zum Ausdruck, dass Nawalny noch lebt. Ich ergänzte mit einer kurzen Beschreibung, wer Nawalny ist, ich empfahl den Dokumentarfilm von Daniel Roher. Und ich hoffte auf den Inspirationseffekt von mir Lehrer und Schulleiter, dass unsere Schülerinnen und Schüler offener in die Weite der Welt und dort auf die kritischen Herausforderungen der Gegenwart blicken.

Zum Zeitpunkt meiner Rede vermisste die Weltöffentlichkeit gerade ein Lebenszeichen von Alexej Nawalny, den der russische Staat in das Straflager „Polarwolf“ verlegte, um sich gegen seinen Einfluss aus der Haft heraus über sein Team im bevorstehenden „Wahlgang“ zur russischen Präsidentschaft zu wehren. 55 Tage später die Todesmeldung, treffsicher hinein in die eben in München beginnende Sicherheitskonferenz: Zufall? Den mag man schwer glauben können, eher wieder eines dieser hässlichen Bravourstücke von Erzählung, die Russland gestaltet.

Alexej Nawalny als einem der wenigen Gesichter, mit Sicherheit darunter dem bekanntesten des Widerstands gegen Korruption, Lügen, Diktatur in Russland das Leben zu nehmen (ob es ein langsames Töten unter schrecklichen Haftbedingungen und ohne notwendige medizinische Versorgung oder nie beweisbarer Mord war, sei mit „Leben nehmen“ offen dahingestellt), zeigt denn doch mit viel zu hohem Preis, wovor der sich selbst immer wieder ermächtigende Mann im Kreml Angst hat, wo er unsicher wird. Wo und bei wem er kann, den räumt er weg: Prigoschin mit seinen Wagner-Mannen auf dem meuternden Weg nach Moskau im Juni 2023 starb exakt zwei Monate später bei einem Flugzeugabsturz. Verrat hat den gleichen Preis wie Widerstand, das Leben.

Warten lassen? Ich erinnere hier an zwei Minuten, die sich Putin gedulden musste, Recep Tayyip Erdogan ließ ihn bei einem Besuch in Moskau stehen. Die Mikroexpressionen im Gesicht des russischen Präsidenten konnte der nicht mehr kontrollieren, eine Minute mehr – und das Rumpelstilzchen in ihm wäre mit ihm wohl durchgegangen. Unter rationalen Kriterien ist dem Präsidenten nach jüngster Verfassungsänderung mit möglicher Amtslaufzeit bis 2036 (Putin wäre dann 84 Jahre alt und 33 Jahre Präsident gewesen) nicht mehr beizukommen. Seine Schwachpunkte zeigen aber etwas auf und die Weltgemeinschaft, vor allem die in den politischen und diplomatischen Ämtern institutionalisierte, wäre dringend gefordert, hier anzusetzen, an der sehr speziellen persönlichen Disposition des Herrn Putin. Man weiß ja viel, ein ehemaliger KGB-Weggenosse lieferte einmal in einem STANDARD-Interview ein Psychogramm, hoch interessant zu lesen.

Man kann ihn also fast zum Bitzeln bringen (Erdogan), man kann ihn provozierend in die Ecke drängen (Prigoschin), man kann ihn nerven (Nawalny). sollte es nur nicht als Landsmann tun, der im Machtfeld des Präsidentensesselklebers sein Handeln und Leben fortsetzen muss – das zählt dann rasch herab.

Ein Statement von Alexej Nawalny, das als Vermächtnis weitergetragen gehört, muss uns aufrütteln: „Gebt nicht auf. Für den Triumph des Bösen braucht es nur eines – die Untätigkeit der Guten“ (Neue Zürcher Zeitung, zitiert nach derstandard.at). Zur Untätigkeit der Guten zählt unsere weiterhin unreflektierte, weil politisch bequeme Abhängigkeit von russischem Gas (98 Prozent des Verbrauchs Dezember 2023 in Österreich stammte aus Russland), dessen Transfer durch ukrainische Pipelines nach diesem Jahr 2024 zudem höchst ungesichert ist. Dazu zählt aber auch ein notwendiges Handeln gegen den Clown, der sich im November wiederum ums amerikanische Präsidentenamt bemüht. Dazu gehört ein Aufstehen gegen jene Leute, die aus ähnlichem Ver-Rücktsein (sic!) demokratische Errungenschaften mit Füßen treten wollen. Die Gleichzeitigkeit solcher Entwicklungen auf dieser Welt, die die ungeduldig herumwetzenden Populisten im Spiel mit der Demokratie veranstalten, halte ich für eine Bedrohung, denn sie können sich zu katastrophalen Kettenreaktionen fügen, die ab gewissen Punkten nicht mehr unterbrochen werden können.

Das können wir alle miteinander nicht wollen. Insofern träume ich – zugegeben auch unter der Faszination der Netflix-Serie „Haus des Geldes“, in der der Widerstand gegen Korruption und Kapitalismus in Gestalt der Bande und ihrer Geiseln rote Overalls und vorm Gesicht Dalí-Masken trägt oder wie die Guy-Fawkes-Maske gegen Tyrannei steht – dass eine Maske mit dem Gesicht Nawalnys in Russland und weltweit das Zeichen des notwendigen Widerstands wird.

Foto von Mitya Aleshkovskiy, Verwendung unter  Creative Commons Attribution-Share Alike 2.0 Generic, wikimedia.commons [abgerufen am 19.2.2024].

1 reply »

  1. Ich habe absolute Hochachtung vor den Menschen, die an der Trauerfeier teilnahmen oder jetzt zum Grab gehen, um ihm die letzte Ehre zu erweisen. Ich hoffe, ihr Mut ist ansteckend und bringt noch mehr Untätige dazu, gegen das Regime und gegen den Krieg aufzustehen. Wenn man damals beim Überfall auf die Ukraine sah, wie die Protestierenden weggekarrt wurden, liefen einem kalte Schauer über den Rücken und man verstand, wie verdammt schwer es sein muss, von innen den Widerstand zu organisieren.

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