Ökologie

Ich cap-ituliere

Ich öffne hygienevorschriftengemäße Verpackungen von Lebensmitteln nicht mit zwei linken Händen, sondern Fingern. Ich präzisiere: Es geht ums Zusammenspiel von Daumen und Zeigefinger, eine der frühesten Formen gesicherter Bewegungen von uns Menschen, der Pinzettengriff. Den setze ich dann an die freundlicherweise luftig auf Plastikverpackungsschalenecken liegenden Folienränder an. Ich klemme die Folie fest und ziehe.

Es reißt bei mir. Ganz sicher, immer. Sofort. Ein kleines Dreieck Folie habe ich dann erobert. Das Lebensmittel in seinem Einweggefäß liegt weiterhin luftgeschützt gesichert vor mir. Gleiches widerfährt mir bei Aluminiumfoliendeckeln, bei Jogurt, Obers (Sahne), Topfen (Quark). Jeder Zug zum Öffnen, ein Abreißen. Die Soll-Bruch-, also Öffnungsstelle verweigert sich mir.

Nun gut, kauf Glasgefäße, mag man mir raten. Wenn es die auch gebe und zwar auch für Mengen, die ein Mann allein für sich benötigt. Berufswege- und -zeitenbedingt herrscht in meinem Privatleben für die Herzallerliebste und mich das Gesetz einer jeweiligen Ernährungsautonomie durch die Woche hindurch. Außerdem: Man entkommt dieser Plastikverpackungswut von Lebensmitteln unter den geltenden Hygieneaspekten ja nicht und trägt trotz bewussten Einkaufs Woche für Woche jede Menge Verpackung, luftleer zusammengequetscht, zur richtigen Recyclingtonne.

Nun haben sie mir eine neue Falle gestellt, einer Regel der Europäischen Union folgend, heißt es. Und weil davon so viel lose in der Landschaft herumliegen: Plastikschraubverschlüsse an Tetrapak-Verpackungen – kurzer Einschub: ein Firmenname wandelte sich allgemein zur Produktbezeichnung, Hinweis also: #notspons – sind nun fix angebracht. Sie bleiben nach dem Öffnen an der Verpackung hängen, damit sie nicht mehr unsere Umwelt verschmutzen. Meine zwei linken Finger schaffen es, die „cap“ (der Fachbegriff!) so (durch-)zu drehen, dass die Mechanik der am Gewinde verbleibenden Schraube dies auch tut, dafür aber die Verpackungswand unmittelbar darunter aufschneidet. Ich schreibe von einem Apfelsaft einer bestimmten Marke, die ich hier diskret verschweige. Ich kaufe sie cap-itulierend nicht mehr, Konsumenten-Protest!

Ich verstehe ja die Verbleib-Erfindung an sich nicht. Denn wenn es darum geht, durch freundliches Herumschauen und Wahrnehmen („nosing around“) festzustellen, was so in der Natur herumliegt, dann sind das einerseits hinterlassene Leih-E-Scooter, andererseits die blau-silbrigen Aludosen des flügelverleihenden Zuckerwassers. Aber Schraubverschlüsse von Tetrapaks? Nun gut, an sich sind diese praktisch und fangen die verlorene Kultur auf, wie man mit Aufreißen und -drücken oder meinetwegen auch Aufschneiden eine quaderförmige Getränkeverpackung fachgerecht öffnet. Dieser zivilisatorische Verlust (aus Bequemlichkeit) ist unwiederbringbar. Von den Tetraedern einer Limonade in meiner Kindheit, an denen wir nur die Abdeckung zum aluversiegelten Löchlein abzogen, um dort den angespitzten Strohhalm durchzustoßen, schweigen wir mit nostalgisch feuchter werdenden Augen. Strohhalm: Er war dazumals aus Plastik, was er heute nicht mehr sein darf. Aber das „cap“ darf es sein, wenn es dranbleibt.

Ich erkenne darin ja weniger ein Projekt des Umweltschutzes, sondern das einer Erziehung zum Trinkgefäß. Denn wer aus dem Tetrapak und der Öffnung unter der Schraube direkt trinkt, Saft, Milch, Buttermilch, Fruchtjogurt, was auch immer, riskiert neben dem Abdruck der Verschlusskappe im Hautbereich um seinen Mund als Zeichen des Trinkflegelns nun auch sich anzupatzen. Der erhöhte Reinigungsaufwand schont gewiss die Umwelt, der Flüssigkeitsverlust nach Verschütten kurbelt den Umsatz an. Ein schlaues Projekt.

Foto: Freundlicher Hinweis auf einem Produkt, zufällig ausgewählt, #notspons

1 reply »

  1. Auch bei Flaschen gibt es jetzt manchmal diese Deckel, die nicht abgehen. Macht sich gut bei roten Fruchtsäften, wenn sie beim Eingießen aus dem Deckel herauströpfeln, neben das Glas natürlich. 🙄
    Nicht mehr direkt aus der Flasche oder dem Hm-Pack trinken zu können, finde ich dagegen einen guten Erziehungseffekt für meine Töchter. 😉

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