Ich bin verführbar, ich werde zum leidenschaftlichen Passivsportler, und zwar insbesondere dann, wenn die sogenannten „Klassiker“ anstehen. Gemeint sind die legendären, historisch großen Rennen des alpinen Schiweltcups, also Wengen, Kitzbühel, Schladming. Da zieht es mich vor den Fernseher, um die sportlichen Höchstleistungen der Athleten im Kampf gegen die Stoppuhr, den Kurs, die Verhältnisse, die physikalischen Belastungen zu bewundern.
Im Mittelpunkt steht bei mir der Respekt für die Leistung von jedem und es ist erfühlbar und mir aus unterschiedlichen Dokumentationen und Lektüren bekannt, was davor im Training geschehen sein muss, dass diesen Höchstbelastungen in zwei bis zweieinhalb Minuten Fahrzeit (Abfahrt auf der Streif bzw. Lauberhornrennen) standgehalten werden kann.
In diesem Jahr allerdings erlebte ich es anders. Mit Schmerz beim Zuschauen, ich gehöre nicht zu jenen, die Rainhard Fendrich in „Es lebe der Sport“ einst so besang: Mich machen die Abfahrtsläufe nicht müd´, ich bin auch nicht abgebrüht, weder erregt, wenn es einen ordentlich zerlegt, Sturz bei 120 km/h, von mir hört man kein Hoppala, und der Kaffee schmeckt mir nimmer, wenn ein Körper regungslos im Schnee legt.
Beispielsweise der des norwegischen Schirennläufers Aleksander Aamodt Kilde am Samstag vor zwei Wochen kurz vorm Ziel der Lauberhornabfahrt: Wenn einem dermaßen trainierten Muskelpaket die Kraft ausgeht und Strecke und Fliehkräfte die Macht übernehmen, sprich: wenn die sichtbar werdende Ermüdung zeigt, dass es am Vermögen des Körpers scheitert, was noch mehr – möchte, nein, muss man der Funktionärsklientel des alpinen Schiweltverbands (FIS) zurufen! – braucht ihr, um endlich einzusehen, dass euer Sport nicht nur das „big business“ sein kann, das ihr betreibt, sondern dass Sportler längst für alle deutlich erkennbar über die Grenzen des menschlich Machbaren gegangen sind? Die Rennläufer nach dem Ausscheiden und Versorgen von Herrn Kilde erfüllten ihren Job in Achtung vor der Strecke und für ihre Gesundheit mit Zeiten drei bis fünf Sekunden (im Rennbusiness also „Ewigkeiten“) hinter der Bestzeit. Respekt und Anerkennung für die notwendige „Bremse“, die zu Recht gezogen wurde! Da wird dann auch einmal Pflugbogen (Pizzaschnitte, wie es in modernerer Schischulsprache heißt) fürs eigene Wohl gesetzt. In der Lauberhornabfahrt war er zu sehen.
Im überfüllten Rennkalender des alpinen Schiweltcups reduzieren sich jene, die diesem Pensum noch irgendwie gewachsen wären, Wochenende für Wochenende. Sieger des Gesamtweltcups wird zu guter Letzt jener, der verletzungsfrei durchgekommen ist. Es geht also nicht mehr um sportliches Kräftemessen, sondern um ein Ausscheidungsverfahren, das für das Publikum nicht nur furchterregend anzusehen ist, auch im Sinn von Angst, wann es den geschätzten Helden des eigenen Mitfieberns erwischt. Das macht den Sport an sich kaputt. Die Leidenswege der Gladiatoren durch Operationen und Reha zurück zum Beruf sind lange, möglicherweise bleiben auch gesundheitliche Schäden. Zirkus und Show, die natürlich auch im alpinen Schiweltcup stecken, fallen in sich zusammen, denn bei den Herren läuft es für die große Kugel des Weltbesten für den Schweizer Marco Odermatt und bei den Damen für die Amerikanerin Mikaela Shiffrin (ihr Sturz am vergangenen Freitag, glimpflich ausgegangen, zeigt, wie rasch der Wechsel ins Team der Verletzten geschehen könnte). Beiden kamen für die knapp eineinhalb Monate, die noch Rennen mit sich bringen, ernstzunehmende Konkurrentinnen und Konkurrenten abhanden, manche in unfreiwillig tragischen Inszenierungen wie etwa der Sturz der Slowakin Petra Vlhova just beim Heimrennen in Jasna.
Da wird das Winken zu den Fans aus dem Akia heraus zur makabren Gestik und einem Zeichen an die FIS: Von dieser Form Schirennsport muss man rasch Abschied nehmen.
Foto: Pexels/Free Photo Library
Kategorien:Sport

Ein Thema, das den Hochleistungssport allgemein betrifft, aber auch als Metapher für die Leistungsgesellschaft an sich gesehen werden muss. Es kann nicht immer unendlich weiter, höher, schneller gehen.
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