Es wird Nacht, es wird Tag. Aufstehen. Radio einschalten. Immer singt Rea Garvey. Toilette, Kaffeemaschine, Frühstück, Anziehen, Griff zum Gepäck für die Arbeit. Dann auf dem Weg dorthin: Graue gesichtslose Leute auf den Straßen, Stop-and-Go-Verkehr auf gerader Route bei nicht synchronisierten Ampelschaltungen. Das macht Stau. Die Art und Weise seiner Produktion erscheint wie ein Sinnbild für unseren gesellschaftlichen Status quo. Die Begegnungen mit Mitmenschen bleiben der Masken wegen mimiklos, seit mehr als einem Jahr sind wir ein Land ohne Lächeln.
Jeder Tag bringt Zahlen: durchgeführte Tests, Neuinfektionen, Inzidenzen, Erkrankte, Hospitalisierte, Intensivstationenbelegungen, Gestorbene, aber auch Genesene und Geimpfte.
Dann spricht die Bundesregierung. Gefühlt täglich. Der Kanzler sieht ein Licht am Ende des Tunnels und gibt Versprechen ab. Der neue Gesundheitsminister sagt: Es ist noch lange nicht vorbei. Mantra-Wechsel also. Das seines Vorgängers lautete: Die nächsten Wochen sind die wichtigsten. Ein Experte warnt. Die Wirtschaft fordert. Dann kommen neue Regeln. Sie klingen wie die alten, weil sie großteils auch diese sind. Im Detail aber auch nicht. Zehn drinnen, vier draußen. Oder doch umgekehrt? Plus Kinder. Vier Kinder drin, zehn Erwachsene draußen. Zwanzig Quadratmeter für jede und jeden beim Sport indoor. Und im Handel sowieso. Reisen ist und bleibt kein Thema. Der grüne Pass kommt später als die in Aussicht gestellten Lockerungen. Logisch wäre: zuerst Pass, dann Öffnungen.
Lohnt es sich eigentlich, sich auszukennen? Niemand glaubt mehr, dass all das tatsächlich kommt. Denn es passt nicht zu den Zahlen, nicht zu jenen jetzt, wie also zu jenen in einer noch nicht in den Evidenzen bestimmbaren Zukunft von nun noch 25 Tagen? Die Pandemie wird mit Ankündigungen behandelt. Placebos. Wir dürfen uns vorstellen, wie es wäre, wenn wir dürften.
Es wird Nacht, es wird Tag. Immer wieder Tirol: Nun breitet sich dort eine Fluchtmutation aus. Es wird Nacht, es wird Tag. Man erkennt, dass Samstag ist, wenn der Bildungsminister spricht.
Schauspieler probieren ein Aufzeigen ihrer misslichen Berufssituation mit Ironie, jenem ambivalenten Gestaltungsmittel, das sich nur durch Tonlage der gesprochenen Sachinformation zum Ausdruck bringt. Manche haben das Sensorium, Ironie zu hören, manche nicht. Manche können sie nicht verstehen, manche wollen sie nicht verstehen. Aus unterschiedlichen Gründen. Heutzutage bringt das dann einen Shitstorm. Kurz und heftig.
Schon aber geht es zurück und wir schwimmen weiter im Fluss der Zeit, in dem wir sonst durch Ankerwürfe von Ereignissen zumindest kurz Halt suchen und finden. Weißt du noch damals, als wir…? Schon mehr als ein Jahr lässt sich hier nichts einsetzen, weil sich aus einer ins Mindestmaß reduzierten Alltagsroutine nichts erheben kann. So geht es vorerst weiter: Es wird Nacht, es wird Tag.
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