Politik

Der Tag, an dem wir den Bundespräsidenten gewählt hätten

20160430_132221Der Konjunktiv ist die österreichische Form der Wirklichkeit. Dieser kluge Satz des Kabarettisten Gunkl illustriert, was am 2. Oktober hätte stattfinden sollen: die Wiederholung der Stichwahl zum österreichischen Bundespräsidenten. Wie wäre es an diesem heutigen Sonntag also abgelaufen?

Die Wahlberechtigten (abzüglich jener, die seit dem Stichwahltermin am 22. Mai verstorben sind) wären zu den Urnen gerufen gewesen. Wahrscheinlich hätten weniger den Weg auf sich genommen und doch im Wahllokal mehr Zeit investieren müssen, da die Kommissionen akribisch prüften, wer tatsächlich vor ihnen stünde. EU-regelkonforme Passfotos erleichtern das Feststellen von Identität ja nicht wirklich. Zwischen realem und abgebildetem Gesicht bestehen teils gravierende Unterschiede. Auch die Übernahme aus dem Wählerverzeichnis ins Protokoll hätte einer zeitintensiveren Genauigkeit in der Schriftführung bedurft. Und erst recht nach getanem Staatsbürgerwerk in der Wahlzelle: das Kuvert hätte aus der Hand des Wählers in die des Wahlleiters gereicht und erst von jenem dann fachgerecht in der Urne versenkt werden müssen.

Nicht allein dabei, auch sonst wäre das Warten zu einer neuen Tugend erwachsen, hat der Verfassungsgerichtshof ja den Usus abgeschafft, dass in Kreisen von Parteien, Behörden und Medien schon vor Wahlschluss in anderen Gemeinden existierende Teilergebnisse zur weiteren Verarbeitung (Vorbereitung von Hochrechnungen und Berichterstattungen) gereicht würden. Auch in sozialen Netzwerken hätte man sich selbstverständlich an diese Regel gehalten. Wenngleich: im Laufe des Nachmittags hätten einerseits Fotos einer Lebensmitteldiskontkette, andererseits Bilder treuer vierbeiniger Begleiter des Menschen auftauchen können. Als ob uns diese Postings etwas sagen wollten?

Da der Innenminister erst das tatsächliche, amtliche Endergebnis verlautbart hätte, wäre das Wahlwarten noch Tage danach zu erdulden gewesen. Da die Wahlkarten erst ab dem Montag danach und da ab neun Uhr ausgezählt werden hätten dürfen, hätten diese Kommissionen, möglicherweise durch so manche erst verspätet eintreffende Beisitzer gehindert, ihre Arbeit zwar aufgenommen, diese der Menge wegen erst im Laufe des Dienstags, teilweise sogar in den frühen Morgenstunden des Mittwochs abgeschlossen. Vor allem das Fernsehen hätte versucht, diese Zeit mit Serienware bisher miesesten Publikumszuspruchs zu füllen, um in der Langzeitstatistik deren Programmeinsatzes beschönigend Quote zu machen.

Irgendwann im Laufe der nächsten Woche wäre also ein Ergebnis bekanntgegeben worden, möglicherweise zu einem Zeitpunkt, als es kaum mehr jemanden wirklich interessierte. Dann hätte der Fristenlauf wirken und ein Bundespräsident im dritten Novemberdrittel angelobt werden können. Er hätte im Advent via Brief an die österreichischen Tageszeitungen seiner Freude über die vielen ihn in der Hofburg erreichenden Weihnachtsgrüße Ausdruck verleihen, Strafgefangene amnestieren, beim Spendenmarathon „Licht ins Dunkel“ am 24. Dezember auftreten und zum Neuen Jahr via Bildschirm zum Volk sprechen können.

All diese Dezembertermine fallen der Kleber-Gate-bedingten Verschiebung wegen aus dem Bereich des Möglichen. Ob alles andere der österreichischen Wirklichkeitsform entkommt, wird sich am 4. Dezember weisen.

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