Raum & Architektur

Stolpersteine für Steyr

Der sehr geschätzte Herr Nachbar ließ sich vor ein paar Tagen in seinem Garten einen Weg aus Kopfsteinpflaster legen. Die zwei Arbeiter auf ihren geschützten Knien legten Stein um Stein aneinander, klopften mal diesen, mal jenen. Ich verstand den Takt, der sich abgesehen von den Pausen, die sich die beiden redlich verdient hatten, durch den Alltag schlug, als perkussive Aufforderung aufzubrechen, setzte mich aufs Fahrrad und fuhr in die Stadt, um in etwa zeitgleich andere, neu platzierte Steine aufzusuchen. Zu ihrer feierlichen Verlegung hatte ich es aus beruflichen Gründen leider nicht geschafft.

In meiner Heimatstadt Steyr (Oberösterreich) fand sich dankenswerter Weise eine Gruppe Leute, sie bilden eine Initiative unter dem Titel, den ich auch diesem Text gegeben habe: „Stolpersteine für Steyr“. Sie greift die vom Künstler Gunter Demnig entwickelte und seit 1996 praktizierte Form des Gedenkens auf und realisiert diese nun in unserer Stadt, die sich als Standort von Rüstungsindustrie und von Zwangsarbeit in die düstersten Kapitel Geschichte des 20. Jahrhunderts eingetragen hatte.

Zu erinnern bleibt weiterhin Gebot, für mich in zwei Aspekten, einem historisch wissenschaftlich fundierten, ja darin längst überfälligen, denn in unserer Stadt sind durch Forschungsarbeit individuelle Schicksale von Deportation und Vertreibung bekannt, darum gut nachvollziehbar, jetzt auch dauerhaft sichtbar. Die Stadt Steyr bekam erste permanente Zeichen des Erinnerns mit Stolpersteinen, Steinen mit Messingplatten, darin knappe Informationen zur Person, ihrer Geburt, ihrer Deportation, ihrem Schicksal eingraviert. Daneben findet sich an den Adressen, die man nun besuchen kann, ein weiterer Stein mit einem QR-Code. Mit diesem erlaubt das Smartphone ganz rasch und unkompliziert Zugriff auf die Lebensgeschichte jener, denen man hier, an ihrem letzten bekannten Aufenthaltsort, gedenken kann.

Der zweite (nicht gewollte, aber entstandene willkommene) Aspekt der ersten Stolpersteine liegt im Umstand, dass das Bild unserer schönen Stadt wieder richtiggestellt wird. Denn seit Anfang 2021 sind wir jeden Sonntag – und das immer noch (angeblich bis Ende 2025!) – Aufspazierort sich versammelnder Menschen, die über ihre Skepsis bis zum Widerstand gegen die Corona-Maßnahmen zusammengefunden und dabei aber zumindest übersehen haben, wen aller noch sie mit ihrer Protestinszenierung hervorlockten und wem sie somit bewusst oder unbewusst, dann also dumm, ein Forum für unzulässige Botschaften bieten. Mitte Mai sorgte dann der Umstand einer angemeldeten Versammlung auf dem Stadtplatz rund um einen weißen Bus und seinen seltsamen Fahrgästen für Aufsehen. Steyr bietet dafür keinen Platz, auch wenn demokratisches Recht die Straßen für die Meinungspreisgabe öffnet.

Steyr ist und bleibt ein Ort einfühlsamen, sensiblen und achtsamen Gedenkens. 2024 werden nächste Stolpersteine verlegt.

Foto: Stolpersteine lassen uns „stolpern“ und an jene erinnern, die einst hier gewohnt haben, deportiert und ermordet wurden.

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