Sport

Attersee – Eine Überquerung

Uhrenvergleich. Wir stehen mit Freunden vorbereitet zur gemeinsamen Tat knöcheltief im Wasser, fertig adjustiert, abgekühlt. Die Schwimmbrillen sind auf Dichtheit getestet, erste Kraulschwimmzüge haben das Warm-Up abgeschlossen.

8:29 Uhr, one minute to go. Wir wünschen uns alles Gute. Von irgendwoher quäkt eine Stimme durch einen Lautsprecher, ein Countdown, „zwei … eins …“, 406 Schwimmer warten auf einen Startschuss, der nicht fällt. Wie bei „la ola“ im Fußballstadion spricht sich von links in einer Welle von Schwimmern, die beginnen, sich in den See zu stürzen, durch, dass es gilt: Attersee-Überquerung 2018, 2520 Meter zwischen Weyregg und (Ort) Attersee.

Dieser Event im oberösterreichischen Salzkammergut war das als Saisonhöhepunkt deklarierte Ziel der Schwimmtrainingspartnerschaft zwischen Birgit und mir. Seit April bereiteten wir uns darauf vor (dazwischen schwammen wir für die beiden Triathlonstaffeln der HLW Steyr beim Eisenwurzentriathlon), konsequent im Pool (Technik) sowie im open water (Ausdauer, Orientierung).

Gestern fand die Überquerung statt, ab 6:30 Uhr Check-in, ab 7:30 Uhr Transfer mit der Fähre vom Ort Attersee aus ans andere Ufer. Start um 8:30 Uhr: Als Felix Baumgartner am Rand der Atmosphäre aus seiner Kapsel ausstieg, um sich im freien Fall wieder der Erde anzunähern, sagte er: „I´m going home now“. Als die Welle der startenden Schwimmer auch uns erfasst, sage ich zu mir: „We are swimming home now.“ Birgit und ich vereinbarten uns eine Bewältigung der Schwimmstrecke im Team. Wie geht das? Sie atmet rechts, ich links. Sie startet links von mir, wir sehen so während unserer Züge, wie es uns geht, wir können aufeinander achten.

Vor uns scheint der See zu kochen, weil sich außer uns noch 404 andere auf ihre Reise durchs Wasser ans Ufer gegenüber machen. Die Zeit dabei? Ist uns einerlei. Uns geht´s ums Bewältigen, ja, auch um den Genuss. Ich sehe, dass Birgit dann und wann ein Brusttempo einschiebt, zu viel Wirbel ist noch vor ihr. Irgendwie erscheint der Attersee gerade sehr aufgeregt. Ein rhythmisch gleichmäßiges Schwimmen ist noch nicht möglich, ja, es geht um Platz. Birgit drückt gleich einmal an, ich denke mir, hoffentlich nicht allzu lange, für den Anfang wäre mir dieses Tempo zu hoch. Schwimmen ist auch Strategie, vor allem auf etwas mehr als zweieinhalb Kilometer. Wir schwimmen in etwa die gleiche Pace und können, wenn wir wollen, zulegen, was notwendig sein kann, etwa um einen anderen Schwimmer zu überholen oder noch viel wichtiger, gegen Strömungen zu halten oder auch uns über Wellenberge und durch Wellentäler zu kämpfen, wenn passierende Boote und Schiffe das Element, in dem wir uns fortbewegen, aufschaukeln.

Die Wettkampfleitung hat die Route mit drei großen gelben nummerierten Bojen markiert, sie sehen aus wie überdimensionierte Innenleben der Überraschungseier. Es braucht zuerst Zeit, die erste durchs Getümmel der Schwimmerköpfe vor einem überhaupt erkennen zu können, dann bewegen wir uns auf diese zu. Zug um Zug, nach einer bestimmten Anzahl hebst du den Kopf vorne hoch, um deine eigene Orientierungspeilung zu überprüfen, ich zähle immer sehr gerne, verliere dann auch die Zahl, mache mehr, weil ich in den „flow“ gerate, der es so ausmacht und den ein Kollege beim Übersetzen mit der Fähre als die Genialität schlechthin definierte: du und das Wasser, deine Bewegungsabläufe und das Gesprudle des Ausatmens ins Wasser hinein. Links von mir immer Birgit, mal näher, mal weiter weg, mal etwas vorne, dann wieder ein wenig zurück, immer aber im Blickfeld, das sich kurz öffnet, wenn ich auf links atme. Ich entwickle ein Zeitgefühl, das meine Sportuhr unterstützt, wenn sie alle zehn Minuten eine vibrierende Zwischenbilanz von Strecke und Zeit nimmt (die Gleichmäßigkeit meines Schwimmens, wie ich sie abends zu Hause am Computer sehe, verwundert mich und macht mich zugleich auch sehr stolz).

In der Ferne tauchen die dritte Boje und dahinter der rot-gelbe Zielbogen der Überquerung auf. Birgit erzählt mir nachher, sie hätte einmal auf ihre Uhr gesehen, bei 1.200 Meter, also noch nicht einmal der Hälfte. Der Blick übers Wasser täuscht die Sinne hinsichtlich realer Distanzen, lange Zeit bleiben beim Orientierungsblick nach vorne Überraschungsei Nummer drei und der Zielbogen wie entrückt. Ab einem gewissen Punkt aber beginnt das Ziel zu wachsen, langsam. Ich schaue spätestens nach jedem zwanzigsten Zug auf, sehe, wie Birgit das viel öfter macht, und stelle um auf nach jedem zehnten. Nach mehr als einer Stunde Blick ins türkise Wasser bekommt es nun einen Boden mit pflanzlichen Strukturen. Die Intervalle unserer Orientierungsblicke werden kürzer, immerhin wollen wir den Zieleinlauf auch treffen. Aus den Pflanzen am Boden werden Schotter und Sand, rechts von mir beginnt die Kette Luftballone, die den Zieleinlauf markiert. Links sehe ich Birgit ihre letzten Kraulzüge setzen, der Boden rückt näher. Birgit setzt ihre Füße auf, auch meine finden Grund. Ein spannender Moment, denn nach der intensiven Arbeit unserer Kreisläufe in der Horizontalen kommt jetzt die kleine Herausforderung, sich umzustellen, schwindelfrei aufzustehen. Noch im Wasserbereich stehen dafür Helfer der Wasserrettung (die mit vielen fleißigen Mitarbeitern für Sicherheit bei diesem Schwimm-Event sorgten, DANKE!) bereit, die mit geschultem Blick, ob man es alleine schafft oder nicht, helfend an deinen Oberarmen zupacken oder nicht.

Wir schaffen es ohne Hilfe, gehen über wenige Stufen aus dem See und durchs Ziel. Gleichzeitig.

 

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