
Statue des Ramon Berenguer an der Via Laietana in Barcelona. Im weißen Kreis: Regionalflagge und das „Si!“ auf grünem Fähnchen für Kataloniens Unabhängigkeit
Wohin wird sich dieser Binnenkonflikt in einem EU-Land noch steigern? Seit Mittwoch sitzen nach Razzien führende Politiker der katalanischen Regionalregierung in Haft, Werbemittel und Millionen an Stimmzettel sind beschlagnahmt. Das Polizeiaufgebot in der Region wird erhöht und der Server der offiziellen Informationsseite im Internet zum Referendum blockiert. Täglich gehen tausende Katalanen auf die Straße, um sich dieses Drucks aus Madrid zu erwehren.
Faktum eins: Verfassungsrechtlich ist das Referendum am nächsten Sonntag nicht gedeckt. Die Regionalregierung um Carles Puigdemont geht den Weg dennoch und legitimiert ihr Handeln auf Basis des Ergebnisses der letzten Wahl im September 2015. Seither halten die Pro-Unabhängigkeitsparteien nach einem Votum von 47,8 Prozent eine absolute Mehrheit an Sitzen.
Faktum zwei: Madrid und Barcelona sprechen schon lange nicht mehr miteinander. Der spanische Ministerpräsident Mariano Rajoy muss sich nachsagen lassen, seit seinem Amtsantritt den Dialog tunlichst vermieden zu haben. In der Frage der Mittel zeigt er sich seit dem Gesetzesbeschluss der katalanischen Regionalregierung zur Abstimmung nicht zimperlich. Statt zu verhandeln haben sich die Zahnräder eines handlungsaktiven Widerstandapparats in Gang gesetzt. Taten statt Worte, Drohstrategien, begrenzte Vernichtung: Der Konflikt kam, mit Friedrich Glasls Eskalationsstufentheorie gesprochen, sehr schnell in die „lose-lose“-Ebene. Was kommt noch? Der gemeinsame Untergang? Also Vernichtung zu beiden Seiten, im Klartext: Bürgerkrieg?
Zum Hintergrund: Katalonien brummt als Wirtschaftsmotor für Spanien, die Steuern fließen in der Perspektive der Katalanen nur in eine Richtung, nach Madrid, es komme nichts zurück. Im August, als ich in Barcelona war, schätzte meine Reiseleiterin den Ausgang des Referendums auf 80 Prozent Zustimmung ein. Die hohe Präsenz der katalanischen Regionalflagge, flankiert von grünen Fähnchen mit einem „Si!“ in der Sprechblase, spiegelte das genauso wie gespannte Leintücher in der Landschaft, auf die in großen Blockbuchstaben „independència“ gemalt worden war. Dann kam der Terroranschlag auf Les Rambles am 17. August 2017. In den Scharmützeln der Informationslage dazu erkannte man den schwelenden Konflikt. Während der spanische Innenminister die Terrorzelle als zerschlagen erklärte, suchte die Mossos d’Esquadra noch drei ihrer Angehörigen, der katalanische Amtsträger für Inneres düpierte den Kollegen sogleich öffentlich. Anscheinend meinte vor allem Madrid, den über lange Jahre schwelenden, sich langsam zuspitzenden Konflikt in der gemeinsamen Trauer entspannen und in ihr wieder zueinander finden zu können. Rajoy und König Felipe zeigten sich bei der großen Demonstration am 25. August in Barcelona, dort waren auch die Separatisten zahlreich zur Stelle. Aus der Trauerarbeit wurde eine politische Kundgebung.
Zu Autonomiebewegungen national ausgerichteter Ideologien – im Juni 2016 die britische Entscheidung für den Brexit, am kommenden Sonntag die der Katalanen für eine eigene Republik? – verstehen Politiker es nicht, der Bevölkerung klar zu machen, worin der Vorteil des Gemeinsamen liegt. Das von Madrid gesteuerte Säbelrasseln in Katalonien setzt darauf, Regionalpolitiker und Bürger einzuschüchtern. Was für eine dubiose Strategie! Noch dazu, wenn sie darin gipfelt, dass ein Wahlgang und die damit verbundene Informationsarbeit durch Polizeiintervention schwer beinträchtigt werden. Das rüttelt am demokratischen Grundsatz. Und geht einfach gar nicht.
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