Literatur

Jetzt wieder (ge)lesen: „Der Steppenwolf“

Angefangen hat alles damit, dass ich im Saisonprogramm 2023/2024 des Brucknerhauses Linz einen Abend entdeckte: Der von mir sehr geschätzte Schauspieler Juergen Maurer wurde angekündigt, er liest aus Hermann Hesses „Der Steppenwolf“, Thomas und David Enhco gehen dabei jazzig über bekannte musikalische Motive von Bach, Beethoven, Händel, Mozart. Wow! Da muss ich hin, vor einer Woche fand der Abend statt. Ich war dort.

Jetzt bin ich zwar zu jung dafür, um zur Leserinnen- und Leserschar jener Renaissance von Hermann Hesse zu gehören, die in den sechziger und siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts den Autor nahezu vergöttert hochleben ließ, vor allem all das, was er sinnsuchend geschrieben hat („Siddhartha“); nicht so meines, wie alle die mich kennen, sofort wissen werden.

„Der Steppenwolf“ zog mich als Jugendlichen natürlich in seinen Bann und später im Germanistikstudium kehrte er literaturwissenschaftlich kontextiert wieder, in einer Vorlesung über die „Literatur der Weimarer Republik“, mit der dienstags zu Mittag der Professor unseres Studiums in den späten achtziger Jahren, Wendelin Schmidt-Dengler, das Audimax der Universität Wien zu füllen verstand. Hier wurde die Hauptfigur Harry Haller mit ihrer Entwicklungsgeschichte vor die Folie der zeitgeschichtlichen und politischen Umstände der Zwischenkriegszeit in Deutschland gestellt und als erzähltes Individuum zwischen der alten (bürgerlichen) und der neuen (wölfischen) Zeit analysiert, Schmidt-Dengler liebte die Tabubrüche. Hesse? In literaturwissenschaftlichen Kreisen war verpönt, Leben und Werk zu beforschen, wenn eine Autorin oder ein Autor auf der Erfolgswelle schwamm und sich in den Augen der Wissenschaft darin natürlich sogleich trivialisierte. Schmidt-Dengler spielte damit. In der gleichen Vorlesung ließ er uns Irmgard Keuns „Das kunstseidene Mädchen“ entdecken und in diesen achtziger Jahren würzte er seine Vorlesungen, zu denen wir pilgerten, weil sie frische Luft von Arbeit an Texten atmeten, auch mit Ausschweifungen zu Autoren wie Heinz G. Konsalik oder Johannes Mario Simmel. Das entstaubte das wissenschaftliche Arbeiten und belüftete unsere Hirne, es wirkt (bei mir) bis heute nach.

Und so griff ich in Vorfreude auf den Besuch der Lesung mit Musik (eine furchtbare Verkürzung der ästhetischen Dimension der Veranstaltung heute vor einer Woche im Brucknerhaus auf drei blöde Worte) wieder zur Lektüre von Hesses „Der Steppenwolf“, mit der Erkenntnis, dass der Roman heute unbedingt gelesen werden muss. Denn in ihm liegen literarische Spiegelungen, die auch heute Aussagekraft haben, nur ein (längeres) Zitat aus dem Text dazu:  

„Zugleich dachte ich: so wie ich jetzt mich anziehe und ausgehe, den Professor besuche und mehr oder weniger erlogene Artigkeiten mit ihm austausche, alle, ohne es eigentlich zu wollen, so tun und leben und handeln die meisten Menschen Tag für Tag, Stunde um Stunde zwanghaft und ohne es eigentlich zu wollen, machen Besuche, führen Unterhaltungen, sitzen Amts- und Bureaustunden ab, alles zwanghaft, mechanisch, ungewollt, alles könnte ebensogut von Maschinen gemacht werden oder unterbleiben; und diese ewig fortlaufende Mechanik ist es, die sie hindert, gleich mir, Kritik am eigenen Leben zu üben, seine Dummheit und Seichtheit, seine scheußlich grinsende Fragwürdigkeit, seine hoffnungslose Trauer und Öde zu erkennen und zu fühlen. Oh, und sie haben recht, unendlich recht, die Menschen, daß sie so leben, daß sie ihre Spielchen spielen und ihren Wichtigkeiten nachlaufen, statt sich gegen die betrübende Mechanik zu wehren und verzweifelt ins Leere zu starren, wie ich entgleister Mensch es tue.“ (Hermann Hesse: Der Steppenwolf, Frankfurt: Suhrkamp 2007 (=st 3855), S. 87).

Und jetzt lesen wir bitte alle „Der Steppenwolf“!

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