Unverdächtig wie kaum ein anderer kann sich Doron Rabinovici in seinem Roman „Die Einstellung“ (Suhrkamp) in Fiktion eine Szene konstruieren, die der Frage nachgeht, wo der Mensch in den Rollen seiner Öffentlichkeit bleibt, da der populistische Spitzenkandidat vor einer Wahl, dort ein versierter Pressefotograf, Sparring-Partner im Ring, jeder kommt aus seiner Ecke. Es geht um ein Bild des Politikers. Mehr wird hier nicht verraten.
Unverdächtig bleibt Rabinovici in der literarischen Konstruktion um Populismus und Medien insofern, weil man ihn im deutschsprachigen Raum als einen kennt, der in seinen Analysen der politischen Gegenwart scharf denkt und unmissverständlich in Kommentaren, Reden und Diskussionen auszudrücken versteht, wohin sich Gesellschaft entwickelt.
Als Romancier nutzt er die Erzählerrolle für eine Landschaft, die Züge wohl jeden Wechselspiels zwischen Politik und Journalismus in Staaten westeuropäisch industriellen Zuschnitts trägt. Man neigt dazu, die fiktiven Personen in die Schablonen konkreter realer zu verschieben, die man aus dem medialen Erfahrungshorizont kennt, aus Österreich, Italien, den Niederlanden, Großbritannien oder auch Deutschland: unangebrachte Entschlüsselungsspielereien. Denn es geht nicht ums Konkrete, nicht um literarische Abbildung. Rabinovici baut einen Spielplatz von Politik und Medien und nimmt dazu Inventar aus immer wieder einmal geführten Diskussionen in der Medienwelt, nämlich vor allem jene, ob sich Zeitungen, Zeitschriften, Fernsehen nicht zu oft ein auflagen- oder quotenförderndes Bild von jenen machen, die mit ihren Parolen und Hetzkampagnen mobilisieren, ein quasi frivoler Götzendienst.
In „Die Einstellung“, dieser herrlichen Doppeldeutigkeit im Titel, einerseits Ideologie, geht es um Ulli Popp, einen Politiker, der sagt, was wirklich ist, der weiß, wie man rasch Probleme löst, der durch Landgemeinden, Volksfeste und konstruierte Exklusivitäten von Festessen tingelt. Auf der anderen Seite: Einstellung als Blende, Belichtung, Motivwahl, Motivinszenierung. August Becker, der Fotograf, behält den Anspruch an sich und seine Arbeit mit der Kamera auch dann, wenn es schnell gehen muss. Der Lebenstakt im Journalismus ist hoch und intensiv. Doron Rabinovici spürt in seiner in zehn Kapitel strukturierten Erzählung sehr fein in die Welt der politischen Inszenierung und der Rolle der Medien darin hinein, versteht es rund um die beiden Kontrahenten eine Welt zu zeichnen, in der Konkurrenz und Kooperation im Journalismus, das Verschwimmen von beruflichen und privaten Beziehungen zu einer leichtfüßig verführerischen wie auch gefährlichen Welt wachsen. In ihr bekommt auch die Meinungs- und Kommentarwelt des regellosen Allerweltsjournalismus, vulgo social media (Twitter), ihren Part auf der ganz rasch kippenden Werte-Schaukel zugeteilt.
Ich habe den Roman zu lesen begonnen, ließ mich ansaugen, erlebte einen Erzähler mit feinsinnig sprachlich geführter Klinge eine Gegenwart sezieren. Schweren Herzens hielt ich vor dem Kapitel 10 inne, kurz nur, ich wollte nicht zum Ende kommen, musste es natürlich, ich wollte in der klugen Geschichte bleiben. Und in der Schreibkunst von Doron Rabinovici. Absolute Lese-Empfehlung!