Ein Verwandter von Halloween kommt zu dieser Zeit im Sommer daher. Es handelt sich um den anscheinend unvermeidbaren „Maturastreich“, mit dem sich die Absolventinnen und Absolventen von ihrer Schulzeit verabschieden müssen.
Wir wissen, in der kommenden Woche ist es wieder so weit. Warum? Da sind zuerst die feierlichen Überreichungen der Reife- und Diplomprüfungszeugnisse. Davor will die eben als reif befundene jugendliche „Kreativität“ nicht sprudeln. Denn irgendwie schwebt als Damoklesschwert über den Köpfen, das heiß begehrte Dokument (Zeugnis) dann vorerst doch nicht in die Hände zu bekommen. Verspätungen sind nicht nur beschämend, in den Anmeldeverfahren zu den Aufnahmeprüfungen für den Bildungsweg im tertiären Bereich (Universität, Fachhochschule) wird das Zeugnis benötigt.
Die Dramaturgie eines Maturastreichs ist Jahr für Jahr schwach und absolut vorhersehbar. Am Tag eins nach der Feier, meist nach von den Absolventinnen und Absolventen durchgemachter, getränkereicher Nacht, finden wir die Schule „verwandelt“ vor: verwandelt im Sinn von verwüstet. Absperrbänder blockieren Wege, Möbel stehen dort, wo sie nicht hingehören, Stühle werden mit Kabelbindern aneinandergekettet. Die Schulgemeinschaft räumt eine Unterrichtsstunde lang auf. Sehr lustig.
Leider findet das „Streich-Spielen“ nur zu dieser Tonlage, knapp an der Grenze zum Vandalismus, fallweise auch darüber. Aus mittlerweile schon etwas umfassender Zeitgeschichtsschreibung von sogenannten Maturastreichen erinnere ich mich an mit ausgehärtetem Kleber auf immer und ewig „versperrte“ Türschlösser, die ausgebaut und erneuert werden mussten. Natürlich wurde dies den ausgereiften gerade nicht mehr Schülerinnen und Schülern in Rechnung gestellt. Sachbeschädigung nennt man das. Die entgrenzte Fantasie für einen Schabernack zum Abschied torkelt mithin gefährlich in die Nähe von Notwendigkeiten wie etwa dem Erstatten von Anzeigen.
Zur Ehrenrettung der ansonsten wirklich, höflich ausgedrückt, sehr bescheidenen Unterfangen trat in meiner bislang ein Vierteljahrhundert dauernden Lehrerlaufbahn nur ein einziges Mal (2008) eine Generation Schülerinnen und Schüler an. Die Häufung von Musikerinnen und Musikern in diesem Jahrgang ließ sie eine Blasmusikkapelle formieren, die eines Morgens vor dem Schulgebäude aufmarschierte und sogleich ein erstes Stück zum Besten gab. Dann eroberte die Kapelle das Schulgebäude und nutzte die Möglichkeit von zwei Stiegenhäusern in der großen Gebäudelandschaft, durch ein Stockwerk zu flanieren und sich im jeweiligen Stiegenhaus am Ende des Parcours ein Geschoss höher zu arbeiten, um wieder ordentlich Meter fürs musikalische Marschieren vor sich zu haben. Natürlich bot die gut einstudierte Gruppe ihre Musikantenkunst. Nach einer guten Stunde war die Show vorbei, sie stiftete Heiterkeit und eine unvergessliche Erinnerung. Und legte eine Messlatte für nachfolgende Generationen, die seither nicht wieder erreicht wurde.
An der Schule, die ich nun fast zwei Schuljahre lang in Betrauung leiten darf, erzählt man sich von einem legendären Konzert im Stil à la U2 (rooftop concert 1987 in Los Angeles). In der Abschlussklasse gab es eine Band, sie erklomm das Dach des Außendepots und gab ein Konzert, nach allen Regeln des Veranstaltungswesens angemeldet. Denn dazu muss man wissen, dass unsere Schule an einer stark frequentierten Kreuzung in Linz (Oberösterreich) liegt. Das Außendepot eignet sich als ideale Bühne, nichts erhöht Künstler besser und bringt sie näher zum Kreuzungsbereich. Der musste für eine bestimmte (kurze) Zeit stillgelegt werden. Chapeau! So geht Maturastreich.
Foto: Dach des Außendepots, einst stage für ein rooftop concert, im Hintergrund linst das Schulgebäude über die Kante