Lohnt es sich nachzuzählen, wie oft das Wort im Programm der aktuellen österreichischen Bundesregierung als Handlungsanleitung niedergeschrieben worden ist? Ach was, der Glaube an den Positivismus versetzt ebenso wenig die Berge, wie es der Sprachgebrauch dieses Worts immer dann tun soll, wenn es in einer staatlichen Angelegenheit brenzlig wird.
Aktuelles Fallbeispiel: ein auffällig hohes Ausmaß an negativen Beurteilungen in der teilzentralisierten kompetenzorientierten Reifeprüfung (landläufig kurz als „Zentralmatura“ bekannt) im Prüfungsgebiet Mathematik. Die Reaktion des Ministers: er kündigt eine Evaluierung an.
Eine Evaluierung also. Ich darf hier mitreden. Zu evaluieren gehört seit mehr als fünfzehn Jahren zu meinem Tätigkeitsbereich im schulischen Qualitätsmanagement. Der technische Vorgang an sich ist nicht weiter schwierig zu bewerkstelligen. Die Herausforderung liegt darin, die Evaluierungsergebnisse zu verstehen, daraus schlüssig Maßnahmen für Veränderung abzuleiten und diese auch umzusetzen. Da bleibt immer Luft nach oben, mal weniger, mal mehr. Ich wünschte mir, der Bewegungsraum zu Neuem, weil Besserem würde optimal genutzt werden.
Beobachter der politischen Szenerie in Österreich interpretierten das Wort Evaluierung im Regierungsprogramm als Zeichen eines bedächtigen Starts einer Bundesregierung, deren Veränderungswille noch vier (mittlerweile allesamt durchgeführte) Landtagswahlen abzuwarten hatte. Die Koalition wollte mit möglicherweise missliebigen Veränderungen ihren Landesparteigruppen nicht ins Wahlwerben pfuschen. Darum also vorerst: Evaluierung, hin- und in Richtung Veränderung schauen, aber halt nur mal schauen.
Mittlerweile hat das Wort im politischen Handeln den Charakter eines Mantras angenommen. Ein Mantra ist ein heiliges Wort, das wiederholt ausgesprochen wird. Repetitiv rezitiert soll es seine spirituelle Kraft entfalten. Kann das Wort „Evaluierung“ das? Ich zweifle daran. Der Sprachwissenschaftler Uwe Pörksen verwies vor dreißig Jahren erstmals auf eine Gruppe von Wörtern, an denen die Veränderung unserer Umgangssprache fassbar geworden sei. Linguistisch müsste man von „konnotativen Stereotypen“ sprechen, Pörksen entschied sich für den Begriff des „Plastikworts“. Ein Plastikwort löst seine eigentliche Bedeutung durch zu breiten, oftmaligen und darin salopp werdenden Gebrauch auf. Steht Evaluierung noch dafür, was es eigentlich zu bezeichnen hat? Oder wirkt das Wort heute hauptsächlich sedierend gegen erwachendes Unbill in der Bevölkerung?
Als Qualitätsmanager bin ich not amused, dass dem Wort Evaluierung hier eine Metamorphose zum Plastikwort widerfährt, auch wenn es in einem Ranking von derlei Vokabeln im Gebrauch der österreichischen Bundesregierung nur Rang zwei einnimmt. Unerreichbar an der Spitze steht hier ein anderes: Balkanroute.
Foto: Quelle Salzburger Nachrichten, 29. Mai 2018, Seite 3 – Hervorhebung durch den Verfasser
Lieber Peter, wie recht du hast!!! Jedes Wort ein Treffer!
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