Satire

Der Fluch der Zentralmatura

In der kommenden Woche beginnen an den höheren Schulen Österreichs die abschließenden schriftlichen Prüfungen. Zugleich bilden sich auf den Stirnen von Proponentinnen und Proponenten der Innenpolitikszene Schweißtropfen, – nein, nicht wegen des warmen Wetters oder der Anstrengung im Job. Aus Angst! Um Amt und Funktion!

Denn seit 2016 geht in diesen frühen Maitagen ein Fluch um. Er heißt: Rücktritt. Der Fluch folgt dem Gesetz einer Serie. Warum diese just 2016 begann, im Jahr, als an den berufsbildenden höheren Schulen die standardisierte kompetenzorientierte Reifeprüfung eingeführt worden war, und nicht ein Jahr früher zum Start des zentralen Prüfungsformats an den allgemeinbildenden höheren Schulen, bleibt ein Mysterium.

Gewiss ist nur, dass Durchführung und Rahmenbedingungen der Prüfungen ab 2016 heftig erhöhtes Medieninteresse auf sich lenkten. Wie geht es Österreichs Jugendlichen mit gleichen Aufgabenstellungen vom Boden- bis an den Neusiedlersee? Journalistinnen und Journalisten begannen, via Telefon und elektronischer Nachrichten Schulen zu belagern. Auf der Welt konnte geschehen, was wollte: Die Top-Schlagzeile hieß – Zentralmatura. Wie verlief sie, welche Ergebnisse erbrachte sie? Vor allem in Mathematik. Noch längst nicht rechtlich gültig, weil noch nicht durch Konferenzbeschluss gefasst, bedrängte die Medienwelt den Bildungsminister schon um den bundesweiten Notenspiegel im Zahlenfach und gleich dazu Einschätzungen des Leistungspotenzials österreichischer Maturantinnen und Maturanten im Rechnen.

Doch schlagartig sackte diese mediale Neugierde in sich zusammen und baute ihre Energie um und wieder auf und konzentrierte sie anderswohin. Denn just in diesen Maitagen trat ein, was in der tagespolitischen Realität des Landes bislang als kaum zu erwartendes Ausnahme-Ereignis eingestuft werden musste: Ein Regierungsmitglied trat zurück, quasi im medialen Schutzpatron(in)dienst für die Kandidatinnen und Kandidaten in der Reifeprüfung: so am 9. Mai 2016 Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ), am 10. Mai 2017 Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP). 2018 wird die Serie unterbrochen. In Mathematik gibt es sodann auffallend schlechte Ergebnisse, was an einer seltsamen Sammlung von Beispielen und deren Gestaltung für die Prüfung liegt. Ein innenpolitischer Kontext der Ergebnisse zum rücktrittslosen Mai 2018 konnte bislang nicht festgestellt werden.

17. Mai 2019: Ein Urlaubsvideo aus dem Sommer 2017 hat Folgen. Am 15. Mai 2020 erfolgt der Rücktritt von Kulturstaatssekretärin Ulrike Lunacek (Grüne). Am 12. Mai 2021 nimmt die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwalt Ermittlungen gegen Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) auf. Am 9. Mai 2022 treten mit Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck (ÖVP) und Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) gleich zwei Regierungsmitglieder an nur einem Tag zurück. Und im Mai 2023?

Foto: Vor 38 Jahren (du liebe Güte, 8B/1985, wir gehen aufs nächste Jubiläum zu!) war die Reifeprüfung nicht zentral und das Zeugnisformular wurde vom Klassenvorstand per Hand ausgefüllt.

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