Er tut mir Leid, der junge H., am dritten Tag nach der Präsentation seiner Lehrerbewertungs-App wurde er 18 Jahre alt. Am gleichen Tag ging sein Projekt offline. Laut einer Pressesprecherin der Projektgruppe war es notwendig, „wegen Hass-Mails gegen den Entwickler“ den Schüler zu schützen.
Was war bis dahin passiert? Der inhaltliche Ansatz der Entwickler lautete so: In Ermangelung von Feedback im Schulsystem (eine Behauptung über die Faktenlage hinweg) soll es möglich sein, mit Sternen – vergleichbar zu anderen Dienstleistungen, beispielhaft genannt wurden sehr gerne Uber oder Airbnb – Lehrerinnen und Lehrer zu bewerten.
(Hier ließe sich nun freilich ein ausführlicher Exkurs unterbringen, was der Unterschied zwischen Feedback und Bewertung ist. Auch die Umkehrung, dass Schülerinnen und Schüler nun ihre Lehrpersonen „benoten“, funktioniert schlecht. Denn die Leistungsbeurteilung in Folge einer Leistungsfeststellung ist Teil der Expertise, die Menschen im pädagogischen Beruf zu geben haben, und beruht auf einer gesetzlichen Grundlage, der Leistungsbeurteilungsverordnung.)
Rückblickend hätte man der App „Lernsieg“, ihrer Markteinführung, ihrem Erscheinungsbild und ihrer „Methode“ keineswegs auf der nur vordergründig faktischen Ebene entgegentreten sollen. Das führte zum Legitimieren, dabei ist man immer nur Zweiter. In diese Falle tappen gern und schnell all jene, die qua Profession dem Faktischen verpflichtet sind, Lehrerinnen und Lehrer beispielsweise. An anderen Stellen wurde ja mehrfach darauf hingewiesen, dass das Ansinnen der App auf etwas ganz anderes zielte, auf das Fischen von Daten, konkret von Mobiltelefonnummern und zugleich WhatsApp-Zugängen einer für die Werbewirtschaft hoch interessanten Zielgruppe, Jugendliche. Die in Anonymität weilenden Investoren ließen bei der Präsentation des unglücklichen Tools durchblitzen, dass sie viel Geld investiert hätten, der „return on invest“ aber bereits absehbar wäre, nein, es ginge nicht um die Platzierung von Werbung in der App. Also Geschäfte mit Daten, dem „neuen Gold“.
Dann war da noch die Datenbeschaffung von Lehrerinnen- und Lehrernamen, unter „Datenschutz“ in der App mit „berechtigtem Interesse“ argumentiert, einer Begrifflichkeit aus der DSGVO, die vorrangig Sozialeinrichtungen dient, die auf Spenden angewiesen sind und darum Kontakt mit spendenfreudigen Menschen aufnehmen müssen. Ob Datenschutz und Persönlichkeitsrechte der betroffenen Lehrpersonen gewahrt blieben, untersucht ein Experte zur Zeit im Auftrag des Bildungsministeriums. Nehmen wir einmal an, dass dies nicht der Fall war: Hypothetisch hätte der junge H. dann mit Vollendung seines 18. Lebensjahrs (Volljährigkeit) ein potenzielles Rechtsproblem bekommen können.
Abgesehen davon geschah durch die Betreibergruppe ein Tabubruch. Personendaten von Lehrerinnen und Lehrern werden auf Schul-Websites (die bestätigte Quelle für die Datenbank der App) insofern bereitgehalten, weil in Zeiten der Digitalisierung Schülerinnen, Schüler und auch Erziehungsberechtigte rund um die Uhr mittels E-mail Kontakt mit dem Lehrpersonal ihres Kindes aufnehmen können wollen. Bis dato wurde die Vielzahl dieser als breite Serviceleistung zur Verfügung gestellten Daten in Österreich nicht missbräuchlich verwendet. Dass man nun die Kontaktdaten in einen geschützten Bereich der Website migrieren muss, darüber wird nachgedacht, erscheint mir aber als Überreaktion, die der handelnden Projektgruppe rund um die App zu viel Einfluss auf ein (eigentlich) gut funktionierendes und vertrauensvoll gehandhabtes System zugestehen würde.
Die Betreiber werden nicht müde zu betonen, sie wollten kein Lehrer-Bashing, auch wären die Bewertungen von Schulen und Lehrerinnen und Lehrern in den dreieinhalb Tagen, die die App online war, durchwegs passabel gewesen. Die Naivität, die sich darin spiegelt, wird bestätigt durch die unbewiesene Behauptung, „wegen Hass-Mails“ wäre die App offline gegangen. Die breite Öffentlichkeit, die sich ein Wochenende lang in verschiedensten online-Diskussionsforen wieder einmal an der Berufsgruppe der Pädagogen gehässig abgearbeitet hatte, verstand dies im Umkehrschluss so: Lehrerinnen und Lehrer hätten Hass-Mails geschrieben. Das ist Denunziation eines gesamten Berufsstands. Beweise, dass es so gewesen wäre, stehen bis dato aus.
Die Terminisierung der Veröffentlichung der App zwölf Tage vor den Personalvertretungswahlen 2019 schien strategisch klug, denn sie zwang die zu Unrecht stets diskriminierte Lehrergewerkschaft in die Stellungnahme und zum Schutz der Dienstnehmer in die Abwehrhaltung. Eine Inszenierung, in der die Gewerkschaft vielleicht darum nur Passagier einer Marketingstrategie war und nicht Pilot ihres eigenen autonomen Handelns?
Einen Abend, nachdem die App offline ging, schenkten die Medien, konkret der Rundfunk (ORF, Radio Ö3), einem der App-Entwickler Sendezeit. Er sagte im Telefoninterview sinngemäß, man wolle die App überarbeiten, sei weiterhin bereit zum Dialog und reiche der Lehrergewerkschaft die Hand und hoffe nun auf ein gemeinsames Arbeiten daran. Ein etwas abstruses Verständnis von Wirklichkeit eines privaten Betreibers einer Produktentwicklung … weswegen, bitte, sollte sich eine Standesvertretung mit (gerade) diesem in Kooperation begeben?
Für den jungen H. bleiben Katerstimmung und darin die Gewissheit, dass eine (seine?) Idee in eine Realität gesetzt worden ist, die schräger kaum sein könnte. Die Umsetzung scheint die Naivität des Schülers genutzt zu haben und sie hat ihn dabei gefährlich exponiert, nicht wegen der „Hass-Mails“, ein Argumentationsmuster, das viel zu oft auftaucht und mittlerweile einschlägig besetzt ist (es findet zumeist bei „Einzelfällen“ bestimmter Politiker Verwendung, die erst auf Nachdruck Ämter frei machen, meist argumentiert mit Hass-Mails gegen ihre Familien). Die Form der Bewertung von Personen, die in ihrer Arbeit einem gesetzlichen Auftrag Folge leisten, ist so lächerlich, dass sie dem hochbegabten H. – so präsentiert er sich in der Öffentlichkeit – ein denkbar schlechtes Zeugnis ausstellt. Denn ein solches Unterrichtsfeedback kann der Schüler, der mit Lernmethoden durch social media sein Lernpotenzial entfaltet hat, sodass er nun Zeit findet, bereits neben der Schullaufbahn als außerordentlicher Student Wirtschaftsrecht zu studieren, im Spiegel dieses intellektuellen Anspruchs an sich selbst niemals gemeint haben.
Letzter Satz, gar vielen in ihr Stammbuch: Alles ist digitalisierbar; ob mit Sinn, ist schon wieder eine ganz andere Frage.
Foto: Detail aus Screenshot der App – nicht nur Symbol für den offline-Status, sondern auch Sinnbild für das „Projekt“ an sich.
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